31.10.2019
Dr. Andreas Hillgruber (Schulleiter 1962–1964)
Von Dr. Klaus-Peter Friedrich
Der junge Andreas Hillgruber und die Last der (aller)jüngsten deutschen Vergangenheit.
Der ganze Text als PDF aus ZfG mit freundlicher Genehmigung des Autors
Vor 30 Jahren starb Andreas Hillgruber im Alter von 64 Jahren. Die deutsche Geschichtswissenschaft verlor damit einen herausragenden Spezialisten für die militärische, politische und diplomatische Geschichte Deutschlands zwischen 1871 und 1945. Hillgruber war zuletzt Professor und Ordinarius für mittlere und neuere Geschichte an der Universität zu Köln. Zuvor hatte er für vier jahre als Inhaber eines neu eingerichteten Lehrstuhls für mittlere und neuere Geschichte an der Universität Freiburg und 1968/69 zugleich als Leitender Historiker des Militärgeschichtlichen Forschungsamts gearbeitet.
Zwischen 1948 und 1968 war Hillgrubers Lebensweg ganz überwiegend mit Orten in Hessen verbunden: Er lebte in Witzenhausen, Wiesbaden, Darmstadt und – am längsten – in Marburg. Die Lehrbefugnis für Mittlere und Neuere Geschichte erhielt er 1965 an der Philipps-Universität.
Hillgrubers letzte Lebensjahre waren vom sogenannten Historikerstreit überschattet, den er durch seine Veröffentlichung über „Zweierlei Untergang. Die Zerschlagung des Deutschen Reiches und das Ende des europäischen Judentums“ mit ausgelöst hatte. In dem publizistisch-medialen Schlagabtausch sah er sich als Opfer ungerechtfertigter Anschuldigungen. Dabei nahm sich der Geschichtsforscher und Wissenschaftler ausdrücklich das Recht, sich „mit dem Schicksal der ostdeutschen Bevölkerung“ zu identifizieren, die vom „Zusammenbruch im Osten“ 1944/45 besonders schlimm betroffen gewesen sei. Im Historikerstreit verband Hillgruber diese Einstellung mit einem Bekenntnis zum Konservatismus: Er habe „seit Jahrzehnten aus [s]einer konservativen, allen ,linken‘ und sonstigen Weltverbesserungs-Utopien gegenüber zutiefst mißtrauischen Grundhaltung nie einen Hehl gemacht“. Daher wolle er die von seinen Gegnern „als Diffamierung gemeinte Kennzeichnung ,konservativ‘, auf mich bezogen, gerne gelten lassen“. Bezogen auf die Geschichte seiner Familie und auf seinen eigenen Werdegang grenzte er den Konservatismus dabei stets ab vom Nationalsozialismus.
Der Vater Andreas Hillgruber
In der Kurzbiografie des Munzinger-Archivs heißt es, „Hillgruber stammte aus Ostpreußen und war zeitlebens durch seine Herkunft geprägt geblieben.“ Was zunächst wie eine pure Floskel daherkommt, lässt sich mit Inhalt füllen, wenn wir nicht nur Hillgrubers letzte Lebensjahre betrachten, sondern auch den Anfang seiner Karriere als führender Zeithistoriker im damaligen West-Deutschland in den Blick nehmen. Davor noch sind einige Bemerkungen zur Geschichte der Familie Hillgruber angebracht. Andreas Hillgrubers Vorfahren waren als Glaubensflüchtlinge aus dem rekatholisierten Salzburgischen nach Preußen gekommen: Gezwungen, die Wahl zu treffen zwischen ihrer Heimat und der Treue zu ihren konfessionellen Überzeugungen, hatten sie sich für Letzteres entschieden.
Der Vater Andreas Hillgruber, 1882 in Groß Warningken in Ostpreußen geboren, war Gymnasiallehrer. 1912 wurde er mit einer psychologischen Hochschulschrift an der Universität Königsberg zum Dr. phil. promoviert. Im Ersten Weltkrieg war er bis zu seiner Verwundung im Herbst 1914 an der Westfront, 1915/16 in Stellungskämpfen an der Beresina in Russland und 1917/18 in Frankreich eingesetzt. Nach seiner Entlassung aus dem Heer stellte er eine Auswahl ostpreußischer Mundartliteratur zusammen, ehe er sich 1927 der Frage widmete, wie „Bildung möglich“ sei.
Er heiratete die neun Jahre jüngere Irmgard Schilling. Das Ehepaar hatte zwei Söhne: den am 18. Januar 1925 in Angerburg geborenen Andreas Fritz Hillgruber sowie Fritz Peter, der 1929 in Insterburg zur Welt kam. Die nun vierköpfige Familie war wohlsituiert und u. a. in der Lage, ständig eine Haushaltshilfe zu beschäftigen.
Zu Beginn der NS-Herrschaft war der Vater am Kant-Realgymnasium in der Kreisstadt Goldap tätig. Er galt, wie sich 1949 der frühere Mittelschullehrer Karl Randzio erinnerte, „in Lehrerkreisen als ein vorzüglicher Erzieher und Lehrerbildner. In seinem Charakter war Herr Hillgruber ein äußerst vornehmer und anständiger Mensch, dem nichts widerlicher und verhaßter als die Nazimethoden waren“. Er weigerte sich, den Eid der Beamten auf Adolf Hitler zu leisten. Auch unterließ er es, dem NS-Lehrerbund (NSLB) oder gar der NSDAP beizutreten. Da er die politischen Erwartungen seiner Vorgesetzten nicht erfüllte, erfolgte im April 1935 die plötzliche Versetzung an die Aufbauschule im weiter nördlich gelegenen Ragnit an der Memel, einer Kleinstadt östlich von Tilsit unweit der deutsch-litauischen Grenze, was in Hillgrubers Umfeld „als Strafversetzung“ aufgefasst wurde. In der Rückschau aus dem Jahr 1949 erinnerte sich der Sohn an die Zeitumstände und die Beweggründe seines Vaters, die er als damals Zehnjähriger – und als HJ-Mitglied – wahrnahm: Sein Vater habe „den erforderlichen Eid aus innerer Überzeugung nicht leisten“ können, was der vorgesetzten Dienststelle bekannt geworden sei, woraufhin ihm in dem ostpreußischen NSLB-Führer Raatz „ein besonderer Gegner“ erwachsen sei. Auch ein Studienrat „Talarek, der einer der NSDAP vor 1933 feindlich gegenüberstehenden Parteien angehört hatte“, sei nach Ragnit versetzt worden. „Nach einem erneuten Zusammenprall“ mit Raatz sei der Vater am 28. Juni 1937 aufgrund von § 6 des NS-Berufsbeamtengesetzes in den Ruhestand versetzt worden.
Die Familie zog daraufhin in den Königsberger Vorort Metgethen, Röderweg 7. Im Jahr 1949 erklärte Professor Werner Conze, der zuvor in Königsberg, nun an der Universität Göttingen tätig war, über den Vater von Andreas Hillgruber: „Dem Studienrat Hillgruber war es durch meinen Chef, Prof. Dr. Ipsen, unter der Hand gestattet, im Philosophischen Institut in Königsberg private Studien ab Sommer 1937 zu betreiben.“ Bei dieser Gelegenheit habe er sich mit ihm privat unterhalten, wobei Hillgruber ihm „sein Schicksal“ erzählt und mitgeteilt habe, dass er wegen politischer Differenzen strafversetzt, dann vorzeitig pensioniert worden sei.
Der Sohn war Ende der 1940er-Jahre überzeugt, dass die mit der Pensionierung des Vaters zusammenhängenden „bittere[n] Umstände“ dazu geführt hätten, dass seine Mutter unter einer „seelischen Belastung“ litt. Überdies musste sie fortan die „volle Arbeitslast“ im Haushalt übernehmen, da die „Hausgehilfin“ aus finanziellen Gründen entlassen wurde. Seine Mutter starb am 18. Februar 1943 „nach kurzer Krankheit, letzthin aus Ursachen, die auf unsere unglückliche Situation zurückzuführen sind, erst im Alter von 52 Jahren stehend“. Unklar ist, inwieweit der zum Kriegsdienst verpflichtete Vater diese Veränderungen persönlich miterlebte. Er wurde 1940, im Alter von 58 Jahren, als Hauptmann der Reserve zur Wehrmacht einberufen und einem Stab an der nordrussischen Front zugeteilt. Am 23. Mai 1944 heiratete der Vater Liesbeth Dill (1893–1966) in Königsberg. Möglicherweise kam es bei dieser Gelegenheit zum letzten Zusammentreffen des jungen Andreas Hillgruber mit seinem Vater. In der Wohnung in Königsberg blieb Liesbeth Hillgruber mit ihrem Stiefsohn zurück. Im April 1945 geriet der Vater in Stettin in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Gestorben ist er ein Jahr später im sowjetischen Kriegsgefangenenlager Priimetsa, das in einem Ortsteil von Valka (deutsch: Walk) im Süden Estlands lag, wo die deutschen Besatzer zuvor ein Lager für sowjetische Kriegsgefangene eingerichtet hatten. Er wurde 64 Jahre alt.
Als seine Mutter starb, stand Andreas Hillgruber vor dem Abitur, das er am 3. März 1943 an der Königsberger Hufenschule, einer Oberschule für Jungen, ablegte. Von 1935 an war er Mitglied der Hitler-Jugend gewesen, gleich nach dem Schulabschluss leistete er bis Juni 1943 den verkürzten Arbeitsdienst ab. Noch im selben Monat wurde er zur Wehrmacht einberufen. Er gehörte anfangs einer Infanterie-, später einer Nachrichteneinheit an, war zunächst an der Ost-, dann an der Westfront eingesetzt. Am 16. April 1945 geriet er, inzwischen Unteroffizier, im Ruhrgebiet in US-amerikanische Kriegsgefangenschaft. Die längste Zeit verbrachte er jedoch in französischer Kriegsgefangenschaft, nachdem das Lager Andernach im September 1945 an die Franzosen übergeben worden war. Seine in Königsberg verbliebenen Angehörigen flohen im Januar 1945 nach Westen. Die Stiefmutter und der jüngere Bruder Fritz begaben sich nach Ermsleben in der sowjetischen Besatzungszone. ...
Der ganze Text als PDF aus ZfG mit freundlicher Genehmigung des Autors