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04.09.2017

Worte des Abschieds bei der Trauerfeier für Dr. Reimer Wulff

Liebe Familie Wulff, verehrte Trauergäste,

auch die Elisabethschule nimmt heute Abschied von Dr. Reimer Wulff.

23 Jahre lang hat Dr. Wulff die Geschicke dieser Schule geleitet, von 1976 bis 1999, eine ungewöhnlich lange Zeit, so lange wie kaum einer vor ihm, und überdies eine bildungspolitisch sehr bewegte Zeit.

Die Älteren unter Ihnen werden sich an die heftigen Auseinandersetzungen um die Rahmenrichtlinien erinnern, die in Hessen Anfang der 70er Jahre die klassischen Bildungspläne ersetzen sollten. Wenig später versuchte die Landesregierung, für alle Kinder der 5. und 6. Klasse die obligatorische Förderstufe durchzusetzen.

Dr. Wulff war ein entschiedener Gegner dieser schulpolitischen Entwicklung und fand wohl auch deshalb in dieser Zeit seine politische Heimat in der CDU. Für ihn stand als Lehrer und Schulleiter immer die Sache im Vordergrund, ganz im Sinne des Humboldtschen Bildungsideals. Deshalb war er auch ein Befürworter des dreigliedrigen Schulsystems und ein Verfechter der gymnasialen Bildungstraditionen.

Aber es wäre falsch, ihn in enge ideologische Schubladen einordnen zu wollen.

Dr. Wulff lenkte mit sicherer und ruhiger Hand die Schule erfolgreich durch diese schwierige Zeit, weil er trotz seiner festen Überzeugungen stets den Ausgleich anstrebte, weil er zur Versachlichung hitziger Debatten beitrug und nach konstruktiven Lösungen suchte. Das wurde besonders deutlich bei der Einführung der gymnasialen Oberstufe, die seinen Vorstellungen vom Gymnasium als Vorstufe zur Universität entsprach und zu deren Ausgestaltung er einen wichtigen Beitrag leistete.

Gewiss, er war im Kollegium der Elisabethschule nicht ganz unumstritten, aber ich kenne niemanden, der nicht von seiner Persönlichkeit tief beeindruckt war, von seiner ungeheuren Fachkenntnis, von seiner Eloquenz, von seiner Energie, von seiner Entschlossenheit und von seiner Fähigkeit, so viele Ämter und Aufgaben erfolgreich miteinander verbinden zu können.

Dr. Wulff verstand sich eben als ein zóon politikón, als ein durch und durch politischer Mensch, der sich ganz in den Dienst des Gemeinwesens stellte, der in Politik und Gesellschaft zahlreiche Ämter und Funktionen ausübte, der an der Philipps-Universität osteuropäische Geschichte lehrte und noch lange aktiv an Wehrübungen der Bundeswehr teilnahm.

Und so wie er Ämter in Politik und Gesellschaft bekleidete, so leitete er auch die Elisabethschule, fast wie ein Dezernat oder ein Ministerium. Mit seinen engen Verbindungen zur Politik und Verwaltung konnte er auch vieles für die Schule erreichen. Dazu gehört nicht zuletzt die Erweiterung des Schulgebäudes um eine Aula und einen naturwissenschaftlichen Trakt.

Als ich vor 8 Jahren die Leitung der Elisabethschule übernahm, war das nicht die erste Begegnung mit Dr. Wulff. Meine erste Begegnung mit Dr. Wulff liegt viel länger zurück, genau 50 Jahre. Ich war am Philippinum Quartaner, er mein Geschichtslehrer. Ich ein mittelmäßiger Schüler, er ein geachteter Historiker, eine Autorität, die uns Ehrfurcht einflößte. Merowinger, Karolinger, Ottonen, Salier, Staufer, Welfen – er kannte sie alle, jeden Einzelnen. Und über jeden konnte er aus dem Stehgreif Geschichten erzählen, spannend, anschaulich, lebendig. Seine Stundenwiederholungen waren gefürchtet, aber nach seinen Geschichten waren wir süchtig. Wir standen mit ihm am Ufer, als Barbarossa in einem kleinen Fluss in Anatolien beim Baden ertrank, und wir rutschten in Canossa zusammen mit Heinrich IV. im grauen Büßergewand vor den Thron von Papst Gregor VII. Auch das war Dr. Reimer Wulff. So hat er als Geschichtslehrer viele Generationen von Schülern geprägt.

Die Elisabethschule wird sich seiner stets mit großem Respekt erinnern.

T. Meinel

13.08.2013

Nachruf auf Dr. Renate Scharffenberg

Foto: Wegst, FR

* 19.01.1924 in Tientsin (China), † 08.06.2013 in Marburg

Renate Scharffenberg hat von 1956 bis 1986 als Lehrerin an der Elisabethschule gewirkt. Von 1961 bis 1986 war sie Ausbilderin am Studienseminar Marburg.

Geboren wurde sie in China als Tochter eines Diplomaten. Nach dem frühen Tod ihrer Eltern besuchte sie ein Internat in Deutschland. Schulzeit und Studium der Germanistik (u.a.) waren überschattet durch die Zeit des Nationalsozialismus. 1943 begann sie ihr Studium in Marburg, das sie mit dem Staatsexamen und einer Dissertation abschloss.

Besonders lag ihr die politische Bildung der Schülerinnen und Schüler und all ihrer Referendarinnen und Referendare am Herzen. Dies bedeutete für sie, sich im Unterricht besonders mit der Zeit des Nationalsozialismus und mit Tagesfragen auseinanderzusetzen. Als Fachleiterin für  Sozialkunde und Gemeinschaftskunde hat sie die Lehrpläne für Schule und Ausbildungsveranstaltungen entscheidend im Sinne einer kritischen,  wissenschaftsorientierten  und humanistischen Orientierung gestaltet. In ihren Geschichtskursen der Oberstufe stand immer auch die Auseinandersetzung mit der internationalen Ebene, mit dem europäischen Faschismus, der Entwicklung in China und der Beschäftigung mit den großen Supermächten in der Zeit des Kalten Krieges im Zentrum. Im Schulalltag unterstützte sie engagiert die Schülerverwaltung, besonders in den Jahren der außerparlamentarischen Opposition.

1986 beendete sie ihren Schuldienst, um sich ganz der Forschung über Rainer Maria Rilke zu widmen. Es entstanden zahlreiche Publikationen in Zusammenarbeit mit ihrer Lebensfreundin Dr. Ingeborg Schnack, u.a. die Rilke-Chronik, die als biographisches Standardwerk gilt.

Ihrer Schule blieb sie weiterhin  sehr eng verbunden. Zu ihrer Pensionierung stattete sie eine Stiftung, den „Dorothea-Hillmann-Preis“, mit einem großzügigen Startkapital aus, aus dessen Zinsertrag seitdem in jedem Jahr die beste Abiturarbeit im gesellschaftswissenschaftlichen Aufgabenfeld ausgezeichnet wird. Als Redaktionsmitglied gab sie die Schulzeitung „experiment“ von 1989 bis 2000 mit heraus, dokumentierte so eine lange Epoche der Schulgeschichte.

Renate Scharffenberg war eine Lehrerin, die über viele Jahrzehnte in besonderer Weise ihre Schülerinnen und Schüler begeistern konnte. Ihre menschliche Ausstrahlung und ihr fachliches Können beeindruckten. Didaktisch und methodisch passte sie den Unterrichtsstoff auch dem Wandel des unterrichtlichen Zeitgeistes an, ohne sich zu verbiegen. Ihr Interesse an Literatur war absolut an der Moderne orientiert, die sie mit dem „Bleibenden“ konfrontierte. So war ihr Unterrichts stets – wie zahllose Schüler bezeugen – ungewöhnlich anregend.

Eine große Anzahl junger Lehrerinnen und Lehrer verdankt ihr eine solide und moderne Ausbildung. Studienreferendare haben besonders in der damaligen Zeit ihre Ausbilder sehr kritisch reflektiert. Ihr positiver Ruf als „gute Ausbilderin“ war legendär.

In der Anzeige ihres Todes haben diejenigen, die ihr besonders nahe standen, es so formuliert:

Sie stand wie kaum eine andere für die Erneuerung der Sozialwissenschaften in der Schule, für die Erziehung zum kritischen, mündigen Bürger, und hat in diesem Sinne viele Generationen von Schülern und Referendaren geprägt. Diese pädagogisch-politische Überzeugung verband sie mit vielfältigem gesellschaftlichem Engagement und großer menschlicher Zuwendung.

Sie ertrug ihre schwere Krankheit und die damit verbundenen Einschränkungen ihrer Lebensqualität mit großer Disziplin und Würde. Für diejenigen, die diese Krankheit und Abschiedszeit mit ihr teilen durften, war dies sehr beeindruckend.

Dr. Renate Scharffenberg hat Maßstäbe gesetzt als Mensch, Pädagogin und Wissenschaftlerin; sie ist mit ihrem tiefen Vertrauen in die Entwicklungsmöglichkeiten und Fähigkeiten der anvertrauten Kinder und Jugendlichen, in ihrer Toleranz, dem Aushalten und dem Umgang mit abweichenden Meinungen und der selbstverständlichen Achtung der Mitmenschen ein Vorbild für Lehrerinnen und Lehrer.

Peter Hatscher, Roswitha Kraatz