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Zum Gedächtnis von Herrn Professor Eduard Wintzer (1842–1927)

Wie oft im Leben kommt uns die Erinnerung an unsere Schulzeit. Wir merken dann erst, dass die Schule den festen Grund in uns legte, der uns hilft, im Leben die Aufgaben, die uns Gott stellt, zu erfüllen. Dann denken wir an unsere alten Lehrer und Lehrerinnen, und danken ihnen, oft unbewusst, für das, was sie uns gegeben haben. Wir alten Schülerinnen sind damals noch ganz anders unterrichtet worden, man hatte ein anderes Ziel vor Augen. Aber einen guten Grund hat die Marburger Schule doch gelegt. Wir freuen uns jedesmal, wenn im Mitteilungsblatt von unseren alten Lehrern und Lehrerinnen erzählt wird. In den letzten Jahren hat ja immer eine unserer alten Lehrerinnen selbst zu uns gesprochen.

Eduard Wintzer ist längst heimgegangen, und so möchte ich ihn seinen Schülerinnen in Erinnerung bringen und auch das Marburg der damaligen Zeit.

1878 wurden die beiden in Marburg vorhandenen Privatschulen von Frl. Günste und Frl. Johanna und Christiane Grüneberg durch Herrn Gymnasial-Oberlehrer Dr. Buchenau vereinigt zu einer Privatschule, die 1879 von der Stadt Marburg übernommen wurde. Herr Dr. Buchenau kam dann nach Rinteln, und Leiter der höheren Töchterschule in Marburg wurde Herr Pfarrer Bernhard. Der kleinere östliche Flügel der Mädchenbürgerschule wurde für die höhere Töchterschule bestimmt. Als erster Lehrer an der neuen städtischen höheren Töchterschule wurde Dr. phil. Eduard Wintzer angestellt. 28 Jahre unterrichtete er an der Schule bis er in den Ruhestand versetzt wurde.

Eduard Wintzer war 1842 als Sohn des Oberlandesgerichtsassessors Wintzer in Essen an der Ruhr geboren. Er verlebte in Essen seine Jugend und besuchte dort das Gymnasium. Nach bestandenem Abiturientenexamen studierte er in Halle, Tübingen, Berlin und Bonn Theologie. Nachdem er als Hilfsprediger bei einem Onkel in Helfta bei Eisleben gewesen war, entschloss er sich, sich für das Lehrfach vorzubereiten. In Bonn studierte er nun Geschichte und Philologie und wurde 1889 Doktor der Philosophie. Nach 1/2-jährigem Aufenthalt in Wien führte ihn 1870 der Krieg nach Frankreich, wo er als freiwilliger Krankenpfleger bei Metz, Sedan und Paris tätig war. 1871 machte er dann sein philologisches Staatsexamen, war als junger Lehrer in Köln, Elberfeld, Mühlhausen i. Elsass und Forbach in Lothringen, bis er 1879 nach Marburg an die neugegründete städtische höhere Schule kam.

Wohnungsnot gab es auch damals in Marburg, denn E. Wintzer musste mit seiner Frau und zwei kleinen Kindern eine Notwohnung vor Weidenhausen beziehen, die er aber schon nach einem halben Jahr mit einer richtigen Wohnung in der unteren Rosenstraße vertauschen konnte. Das Haus war von Wiesen umgeben, die jetzt längst mit Kliniken bebaut sind. Als die Familie sich vergrößerte, wurde die Wohnung in der Reitgasse, in dem Haus, in dem jetzt Kaffee Markees ist, bezogen. Gegenüber war der Schuhmarkt mit dem alten Kilian, in dem damals die Volksschule war. Hier wohnten Wintzers nun nicht mehr so einsam und im Frühjahr hinderte kein Hochwasser den Lehrer daran in die Schule zu gehen, wie es in der unteren Rosenstraße vorkommen konnte. Marburg hatte damals 10 000 Einwohner und 400 Studenten.

Ein großes Ereignis war, als 1879 das neue Universitätsgebäude eingeweiht wurde, an das dann noch die Universitätsaula angebaut wurde. Der Universität gegenüber stand die alte Mühle, neben der die alte Holzbrücke über die Lahn führte nach Weidenhausen.

Das Schulhaus der höheren Töchterschule war ein Teil der heutigen Elisabethschule. Der Turnsaal und die Aula wurden erst später angebaut, sie wurden von der Töchterschule und der Mädchenbürgerschule gemeinsam benutzt. 250 Schülerinnen besuchten damals die Schule. In der Universitätsstadt strebte man in der damaligen Zeit schon danach, den Mädchen eine höhere Bildung zu geben. Doch nur wenige Eltern dachten daran, ihre Töchter für einen Beruf vorzubereiten, mit dem sie sich einmal selbst erhalten sollten.

In der ersten Rede, die E. Wintzer in der Schule hielt, am Sedantag 1879 hebt er unter anderem hervor, dass sich der wichtigste Beruf des Mädchens innerhalb des Hauses und der Familie abspielt, und dass dieser Beruf verantwortungsvoll und schwierig ist. E. Wintzer unterrichtete in den 28 Jahren seiner Schultätigkeit in den Klassen 3, 2, 1 und Selekta; Deutsch, Geschichte und Erdkunde waren seine Unterrichtsfächer.

In seiner Jugend war es ihm vergönnt gewesen, viele schöne Reisen zu machen, was damals nicht so alltäglich war wie heute. Sein Vaterland kannte er sehr genau, aber auch die Schönheiten der Natur und der Kunstschätze Italiens bis zum Mittelländischen Meer. Die Schweiz, Oesterreich und die nordischen Länder hatte er bereist. In der Erdkundestunde konnte er uns oft davon berichten.

In weniger angenehmer Erinnerung sind uns die Stunden, in denen Diktat geschrieben wurde. Da wurde manchmal das ganze Geschriebene durchgestrichen, wenn eine Schülerin versucht hatte, von der Nachbarin abzuschreiben. Besonders schwierig waren dann die Diktate, als die neue Orthographie eingeführt wurde.

Mit sehr viel Freude las er immer die guten Aufsätze seiner Schülerinnen. Wohl in den meisten Fällen hat er seine Schülerinnen so beurteilt, wie sie sich dann im Leben auch zeigten.

Oft dichtete E. Wintzer zu einem vaterländischen Gedenktag einen Spruch, den eine Schülerin seiner Klasse vortrug. Ich denke an Kaiser Wilhelms 90. Geburtstag, an den Tod Kaiser Friedrichs oder an die 25-jährige Wiederkehr des Sieges von Sedan.

Wer erinnert sich nicht gern an die schönen Schulausflüge, die E. Wintzer mit seinen Klassen unternahm. Nach Wilhelmshöhe, dem Niederwalddenkmal, nach Braunfels, Weilburg, Lich, Münzenberg und der Dianaburg fuhr er mit den Schülerinnen und überraschte diese dann oft damit, dass ein Leiterwagen mit grünen Zweigen geschmückt an einer Station stand, wenn der Weg zu weit war. Das waren lustige Fahrten. Da er selbst so gerne sang, stimmte er dann ein Lied nach dem anderen an und sang mit den Schülerinnen alle die schönen Volkslieder. E. Wintzer liebte das Hessenland, es war ihm zur Heimat geworden. Er kannte die Wälder mit ihren Pflanzen und Pilzen, die Wiesen mit ihren Blumen. Er ging in die Steinbrüche, um die Steine des Hessenlandes zu studieren. Und dem Ursprung der Namen der Flüsse, Quellen und Dörfer forschte er nach und interessierte sich sehr für die Sprache und die Gewohnheiten der hessischen Dorfbewohner.

Mit der Stadt und der Universität wuchs auch die Schule, nach 25 Jahren waren es schon 325 Schülerinnen, vor allem wurde die Selekta sehr viel besucht.

Im Süden entstand ein ganz neues Stadtviertel. Die Philosophie wurde zur Universitätsstraße, die Scherzenwiese musste weichen. Wir hatten auf ihr noch die 25-jährige Wiederkehr des Sedantages gefeiert. Wer länger nicht in Marburg war, fand sich nicht mehr zurecht. Die schwächlichen Schulkinder konnten nicht mehr in den Hof des Deutschordensgutes gehen und dort frischgemolkene Milch trinken, die uns besser schmeckte als die Milch, die uns die alte Schuldienerin Frau Marr in der Pause verabreichte.

Auch das Nordviertel veränderte sich durch die Biegenstraße und die neue Oberrealschule. Die Schulkinder konnten jetzt schon mit einem Omnibus zum Bahnhof fahren, später dann mit einer Pferdebahn.

1907 [es war nach den Unterlagen 1906] wurde E. Wintzer in den Ruhestand versetzt. Für die Entwicklung der Schule und für alle seine alten Schülerinnen behielt er weiterhin ein sehr großes Interesse. Bis in sein hohes Alter hinein freute er sich, wenn er Schülerinnen seiner Schule sah, und am Versetzungstage versäumte er nie, in die Stadt zu gehen, um die Kinder mit ihren neuen Klassenmützen zu bewundern.

Im Ruhestand beschäftigte sich E. Wintzer mit hessischer Familiengeschichte und Familienforschung. Er erlebte noch seine goldene Hochzeit und sein goldenes Doktorjubiläum und zuletzt die 400-jährige Jubelfeier der Universität, und nahm bis zu seinem 85. Lebensjahr an allem mit großem Interesse teil.

Nun liegt er schon 9 Jahre dort oben auf dem Marburger Friedhof. Dort wo man den einzigschönen Blick auf unser altes Marburg hat, der uns jedesmal wieder stolz sein lässt, dass wir eine so schöne Heimat haben. (S.W.)

Nachwort.

Liebe Ehemalige. Gewiss werden manche Erinnerungen bei Euch Älteren wach, wenn Ihr diesen Aufsatz lest. Erinnerungen an den feinen Menschen und Lehrer mit den weißen Haaren, dem guten Gesicht und den lustigen braunen Augen darin. Professor Wintzer war nach meiner Erinnerung vielleicht etwas mehr ein Gelehrter als ein Lehrer, den oft das Interesse an dem Gegenstand, den er behandelte, fortriss, sodass er ausführlicher wurde, als es seinen Schülerinnen lieb war. Er blieb immer der vornehme, gewissenhafte und gütige Mensch, der aus von seinen Schülerinnen nur das Beste annahm und glaubte. – Noch eine kleine Schulerinnerung: Eine beliebte Ausrede bei uns, wenn man ein Heft vergessen hatte, war, zu sagen, dass man ein falsches oder altes stattdessen mitgenommen hätte. Damit war dann der Fall erledigt. Mir passierte es aber einmal dabei, dass Prof. Wintzer, während wir einen Klassenaufsatz schrieben, sagte: „Zeig mir doch mal das alte Heft." Er wollte offenbar darin blättern, und sich die Zeit etwas damit vertreiben. Da saß ich nun mit leeren Händen, und die verdiente Bemerkung im Klassenbuch: „Martha log, bereute aber und gelobte Besserung" ist mir sehr ehrenrührig gewesen.

Martha Jensen

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Werke von Eduard Wintzer:

aus: Mitteilungsblatt der Vereinigung ehemaliger Schülerinnen und der Freunde der Elisabethschule, Nr. 7, 1936, S. 5–8; transkribiert von Rüdiger Weyer, März 2021

Oberlehrer Dr. Eduard Wintzer

In der Festschrift von 1929 heißt es im Bericht von Dr. Seehaußen auf S. 11:

"Nach der Ansprache wurden den Anwesenden drei neue Lehrer vorgestellt. Anstelle der nebenamtlich beschäftigten Gymnasiallehrer waren für die Anstalt als ordentliche Lehrer von der Stadtschuldeputation gewählt und von der Regierung bestätigt:

  1. der seitherige Realschullehrer Dr. Eduard Wintzer zu Forbach in Lothringen,
  2. der seitherige Rektor Louis Müller zu Neukirchen bei Ziegenhain,
  3. der seitherige Lehrer Heinrich Dörbecker zu Oberaula, Kreis Ziegenhain."

Angaben

(ausgefüllt von Dr. Seehaußen)

für Kunze's Kalender
an OL Dr. Wetzel, Dortmund, Johannes Straße 28

Oberlehrer Dr. Eduard Wintzer
geb. 16.1.1842
evangelisch
Prüfung pro fac. doc: 25.2.1871
Hauptbefähigung: Geschichte u. Deutsch
Anstellungsfähigkeit (Beendigung des Probejahrs): 6.4.1872
Definitive Anstellung: 15.10.1875
Besoldete Dienststellung: seit 1.4.1871
Gehalt: 4800 Mark
Oberlehrer: seit 2.5.1895

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1906 aus dem Dienst ausgeschieden und den Professorentitel erhalten. gest. 1927.

Dr. Eduard Wintzer soll Professor werden

Marburg, den 6.5.04

Lieber Herr Direktor!

Ich bin gebeten worden, Ihnen mit-
zuteilen, daß man höheren Orts gern
dem Herrn Oberlehrer Dr. Wintzer
den Professorentitel erwirken möchte.
Es sei dazu aber Ihrerseits eine Anregung,
beizeiten ein Antrag nötig u. es würde
gern gesehen, wenn Sie einen solchen
stellen würden.

Mit freundlichen Grüßen
Heermann
Pfr.

M. 7.5.1904

  1. Pfarrer Heermann, am 9. Mai 1904 persönlich
    befragt, gibt an, daß er von einem hießigen
    Herrn auf die von einem Mitglied der
    Casseler Regierung, das er nicht nennen könne,
    geäußerte Absicht, Herrn Oberlehrer Dr. Wintzer
    den Professorentitel zu verleihen, aufmerksam
    gemacht worden sei.
  2. Der Vorsitzende des Schuldeputation, Herr
    Geheimrat Schüler, Oberbürgermstr, erklärt,
    auf eine frühere diesbezügl. Anfrage bei der Casseler
    Regierung sei eine abweißende Antwort
    eingegangen; er vertrat die entschiedene Ansicht
    daß erst bei der Pension Dr. Wintzers eine Ranges-
    erhöhung beantragt werden solle.

                   Mbg. 9.5.1904
                   Dr. Seehaussen
                   Direktor

Antrag Seehaussen für den Professorentitel von Dr. Eduard Wintzer

Der akademisch gebildete Oberlehrer der städtischen höheren Mädchenschule zu
Marburg Herr Dr. phil. Eduard Wintzer, geboren am 16. Januar 1842
zu Essen an der Ruhr, 1864 in Coblenz pro lic. con., 1871 zu Bonn
Pro fac. doc. geprüft, ist seit 1871 im Lehrumfeld tätig gewesen,
und zwar von O(stern) 1871 bis Ostern 1872 am Königl. Friedrich-
Wilhelms-Gymnasium
in Köln, von Ostern 1872 bis Michaelis 1875
an der Gewerbeschule zu Elberfeld, von Michaelis 1875 bis Juli 1877
in der höheren Mädchenschule zu Mühlhausen im Elsaß, von
Juli 1877 — Ostern 1879 an der Realschule zu Forbach, von Ostern 1879
bis jetzt an der höheren Mädchenschule zu Marburg.
Herr Dr. Eduard Wintzer hat sich seiner dienstlichen Pflichten eifrig
angenommen und sich außerdem durch eine Reihe geschichtlicher Aufsätze
schriftstellerisch betätigt; er ließ im Druck folgende Arbeiten veröffentlichen:

  1. De billungorum

Außer der Kriegsdenkmünze für E.W. aus den Feldzügen 1870 ist ihm
eine öffentliche Anerkennung bisher nicht zuteil geworden;
ich bitte deshalb die königliche Regierung ergebenst, für H. Dr. Eduard Wintzer
die Verleihung des Professortitels beantragen zu wollen.