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Experiment Nr. 24, August 2000

Meine liebe, alte Schule!

Dr. med. Rosa Friess, Abitur 1936

Siebzig Jahre sind es her – von 1927 bis 1936 – dass ich Schülerin der Elisabethschule war. Die Woche fing mit einer Andacht an. Als Katholikin brauchte ich nicht daran teil zu nehmen. Aber wer fühlt sich, besonders als Kind, gern als Außenseiter? Es gab auch gar keinen Grund für diese Trennung. Die kleine Ansprache war allgemeiner Art. Und mit zunehmenden Jahren fand ich, „dass man etwas davon hatte!"

Der Chef hielt die Ansprache, meistens aber Herr Weichelt oder Fräulein Jahnow. Herr Weichelt gab in der Oberstufe Deutsch. Zur großen Begeisterung der Klasse. Ich erlebte ihn nur mal in einer Vertretungsstunde. Wer wollte, konnte seine Aufgaben machen. Mit den anderen las er Kotzebue (heute kaum noch, gelesener Lustspielautor des 19. Jahrhunderts). Er wohnte in Niederweimar in einer freien Partnerschaft. Manchmal kam er zu Fuß in die Schule und war schlechtes Wetter, hing er seine Socken beim Pförtner - erste Türe gleich rechts - über die Heizung. Sofort nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde er entlassen. War er vielleicht Kommunist? Er zog mit Lebensgefährtin und Kind nach Frankfurt.

In der Mittelstufe war Frl. Strauss unsere Klassenlehrerin. Sie war ein alter Wandervogel und von ihr lernten wir die vielen Lieder (z.B. aus dem „Zupfgeigenhansel", dem legendären Liederbuch der bündischen Jugend). Kam sie zur Deutschstunde, wurden die Fenster aufgerissen und wir schmetterten eines dieser Lieder. Die fünf Minuten Unterrichtsverlust wurden sicher wett gemacht durch diese Belebung. In der Untersekunda (10. Klasse) gab sie Lateinunterricht. Ein Altphilologe konnte sich gar nicht genug damit tun, wie viel ich - d.h. wir - in diesem Jahr lernten! Das müsse eine außerordentlich tüchtige Lehrerin sein. Mit ihr machten wir die erste Klassenfahrt: drei Tage Frankfurt, Sehr bescheiden? Frankfurts Altstadt, das Judenviertel oder das Haus zur Goldenen Waage gehören zu meinen kostbarsten Erinnerungen. Die letzte Nacht schliefen wir in Bad Homburg und da kam abends ein leutseliger Herr in einem kleinen grünen Hanomag und wurde uns vorgestellt als ihr Verlobter. Sensation! Im Nachhinein ist uns erst aufgefallen, dass alle Lehrerinnen nicht verheiratet waren. Wie ich einmal las, war das auch erwünscht und eine Ehe bedurfte einer Sondererlaubnis. Als Frl. Strauss gehen musste, war es uns ein Trost, dass sie ja ihren Verlobten hatte. Da fällt mir unsere Mathematiklehrerin Frl. Schulz ein, von der es hieß, sie sei mit Walter FIex, der im ersten Weltkrieg gefallen ist, verlobt gewesen. Das umgab sie mit einer Gloriole und wir lasen natürlich alle den „Wanderer zwischen zwei Welten".

Dann in der Oberstufe übernahm Herr Professor Sell den Lateinunlerricht. Er „rächte“ sich am Staat, denn es war eine Strafversetzung von der Kasseler Kunstakademie an unsere Schule - indem er uns gar nichts, aber auch absolut gar nichts beibrachte. Die Unterrichtsstunde war eine „Talkshow“. Bei den Klassenarbeiten schrieben wir etwas aus unserem Pons ab und Latein war kein Prüfungsfach im Abitur. Man hatte also sein Latinum.

Aber ich denke mit Dankbarkeit an Seil. Die Schule bot neben dem Unterricht noch freiwillige Arbeitsgemeinschaften. Herr Sell hielt eine Kunst-AG in seiner Wohnung, wo er viel Bildmaterial hatte. In drei Jahren waren das sehr schöne Stunden.

Eine junge Referendarin war philosophie-begeistert. Sie bot eine AG über Platos Gastmahl morgens um 7.00 Uhr in der Schule. Mein Vater (er war selbst Schulleiter gewesen) nannte es lächelnd mein „Platokränzchen“. Und dann war noch Herr Zuschke, der lange in Amerika war, und jetzt in Psychologie machte. Also Psychologie-AG mit praktischen Beispielen: Wer hatte die Maus in der Pralinenschachtel? Auf der Oberstufe wurde Frl. Jahnow unsere Klassenlehrerin; „Klassenmutter", wie sie gerne sagte. Sie gab Geschichte und Religion. Neidvoll hörte ich, was in Religion geboten wurde: Schleiermacher.... Mein katholischer Religionsunterricht war reichlich mager. Vier Schülerinnen der Oberstufe waren zusammengefasst. In einer angehängten sechsten Stunde kam ein Kaplan. Ich bat Frl. Jahnow, ob ich nicht auch an ihrem Unterricht teilnehmen dürfte, was sie gestattete. Aber eines Tages rief sie mich zu sich. Sie nähme jetzt die Reformation durch und da fühle sie sich durch mich gehemmt; sie wolle mich doch nicht verletzen. Von mir aus hätte es dieser Rücksicht nicht bedurft; so viel Feingefühl, das war auch „Schule“.

Langsam veränderte sich die Atmosphäre (nach 1933). Sport war jetzt wichtig! Ich habe es noch im Ohr, dass „Schriet und schriet!“. Sie klatschte in die Hände und wir mussten „Schreiten" - wahrscheinlich wie unser Führer und nicht „Gehen“. Das Kollegium hatte dreimal das Vergnügen an unserem „Turnabitur“ teilzunehmen. Einmal Gymnastik mit Ball im süßen Kleidchen in der Halle; in dem Stadion Leichtathletik; dann wieder in der Halle nach feierlicher Brieferöffnung vom Schulamt, Geräteturnen.

Der NSDAP-Kreisleiter kam und hielt einen Vortrag vor den Schülerinnen in der Aula. Leider weiß ich nicht mehr weshalb. Und leider entfuhr mir ein Lacher und ich wurde von allen Seiten in die Rippen gestoßen. Unangenehm war, dass einige meiner Mitschülerinnen sich wichtig machten in der Klasse: sie waren kleine „Führerinnen“.

Ein halbes Jahr vor dem Abitur wurde Frl. Jahnow (sie war stellvertretende Schulleiterin) zwangsweise aus dem Schuldienst entlassen. Das war für uns ein Schock! Wir besuchten sie und sie nahm größten Anteil an allem, ohne ein Wort von Klage, Vorwurf oder Verbitterung. Eine Mitschülerin war politisch so indoktriniert, dass sie sich weigerte, einen Juden zu besuchen. Beim Abitur war eine Staffel eingerichtet, um Frl. Jahnow über alles Laufende zu unterrichten. Nach bestandenem Abitur lud sie uns alle zum Kaffee ein und hatte nach ihrer besonderen Art die besten Verschen gemacht. Die Verbindung mit Frl. Jahnow hat bis zuletzt bestanden. Sie lernte noch meinen Mann kennen, den sie sehr schätzte.

Experiment Nr. 23, Februar 2000

Öffnet internen Link im aktuellen FensterMargot Käßmann - eine ehemalige Schülerin wird Bischöfin

Experiment Nr. 21, Februar 1999

Rüdiger Nehberg und die Yanomami

Von Oliver Koberstein

Tosender Applaus in der Halle der Elisabethschule. Knapp 200 Stühle werden mit dem üblichen unangenehmen Geräusch verrückt. Während ein Teil der Schüler die Halle verläßt, scharrt sich eine weitere Gruppe um einen älteren Herrn, der neben einem Mikrophon und einer Leinwand steht. Es handelt sich um den Survival-Experten und Menschenrechtler Rüdiger Nehberg, der auf die Einladung der 1 O an die Schule gekommen ist, um von der Bedrohung der Yanomami, dem letzten, großen freien Indianervolk, zu berichten. Innerhalb von 90 Minuten hat er in einem eindrucksvollen Diavortrag von den Yanomami und seinem Kampf für deren Schutz erzählt.

Nehbergs Vortrag war ein Bestandteil des Projekts "Yanomami" der Klasse 10b, dessen Kernbereich zwischen dem 3. und 5. November stattfand. Während dieser drei Tage wurde der Unterricht der Schüler und Schülerinnen vornehmlich in Form des Projektunterrichts durchgeführt. Die Klasse hatte sich zuvor in verschiedene Arbeitsgruppen eingeteilt, die sich mit Themenbereichen wie "Regenwald", "Yanomami", "Kolonialisierung des Amazonasgebietes", "Goldsucher", "Land-rechte der Indianer" und "Hilfe zur Selbsthilfe" beschäftigen wollten. Die Klasse 1 Od unter der Leitung von Frau Weber beschäftigte sich einen Tag lang mit dem Thema "Yanomami".

Zur Vorbereitung auf das Projekt traf sich die 10b an einem Nachmittag in der Stadtbücherei, um eine Einführung in die Bibliothek zu erhalten, und sich Material für ihre Themen selbst zusammenzustellen.

Am ersten Projekttag führte Rüdiger Nehberg in die Problematik ein und ermöglichte so allen Beteiligten, sich eine bessere Vorstellung von dem zu machen, was in den folgenden Tagen von den verschiedenen Gruppen erarbeitet werden sollte. Während die meisten Gruppen über diverse Räume in der Schule verteilt selbständig ihrer Arbeit nachgingen, suchten zwei Gruppen außerschulische Lernorte auf: den Neuen Botanischen Garten und den Fachbereich Völkerkunde der Philipps-Universität. Eine Arbeitsgruppe führte ein Interview mit Rüdiger Nehberg. Die Ergebnisse der Arbeitsgruppen wurden auf Plakaten festgehalten und am Elternsprechtag (4. Dez. 1998) in einer Ausstellung und durch Kurzreferate Mitschülern, Eltern und Lehrern präsentiert. Eine Spendenaktion für die Yanomami erbrachte mehr als 750,- DM. Das Geld ging an die "Gesellschaft für bedrohte Völker", mit deren Unterstützung Rüdiger Nehberg als Aktionist für Menschenrechte tätig ist.

Zusätzlich stellte die Klasse einen Reader zusammen, der die Ergebnisse der Arbeitsgruppen zeigt, die von den Schülerinnen und Schülern mit sehr viel Fleiß, Energie und hohem zeitlichen Aufwand erarbeitet worden sind. Trotz der Tatsache, daß das Projekt mit viel Arbeit einherging, und es auch erforderlich war, sich nachmittags mit dem Thema zu beschäftigen, meinten die meisten, daß man so etwas wiederholen sollte.

Weiterhin sollte nicht vergessen werden, daß die Durchführung eines Projektes nur dann gelingen kann, wenn alle an einem Strang ziehen. Die Unterstützung durch die Schulleitung, Kollegen, Eltern, den Botanischen Garten, dem Fachbereich Völkerkunde, die Stadtbücherei, diverse Marburger Unternehmen und Rüdiger Nehberg soll an dieser Stelle nochmals hervorgehoben werden, ohne die dieses Projekt nicht in seiner Form möglich gewesen wäre. Darüber hinaus haben besonders die Schülerinnen und Schüler der 10b durch ihr Engagement zum Erfolg ihres Projektes beigetragen.

Auszüge aus dem Interview mit Rüdiger Nehberg

  • S: Wie sind Sie darauf gekommen, den Yanomami zu helfen?
  • N: Weil ich die Hilflosigkeit sah und weil mich das Thema interessierte. Indianer mochte ich immer schon - das mag von Karl May her kommen.
  • S: Welche Sprache sprechen die Yanomami? Wie haben Sie sich mit ihnen verständigt? N: Die Yanomami sprechen ihre eigene Sprache, aber vier unterschiedliche, da sie untereinander verfeindet sind - das hat sich nicht gemischt. Ich hatte Vokabellisten und Völkerkundler mit, aber da man immer wieder auf welche trifft, die andere Sprachen und Dialekte sprechen, kam ich damit nicht sehr weit. Manche Indianer sprechen ein paar Brocken Portugiesisch und so konnten wir uns verständigen.
  • S: Wollten die Yanomami auch etwas von unseren Sitten wissen, welche wir haben und wie es bei uns ist?
  • N: Das konnten sie sich schwer vorstellen. Sie wollten immer wissen, wie es bei uns so aussieht. Wenn da ein Indianer war, der schon mal ein Haus gesehen hatte, konnte er es den anderen vielleicht klarmachen. Aber sie hatten keine richtige Vorstellung. Für sie ist am Ozean die Welt zu Ende.
  • S: Haben Sie während Ihrer Expeditionen gegen das Gesetz verstoßen?
  • N: Das muß man laufend. Ich habe z.B. keine Erlaubnis, in das Indianerdorf zu gehen bzw. es zu betreten, denn formal ist es geschützt, nur als Goldsucher kommt man rein. Ich war illegal da, wir gelten als unerwünschte Personen seit unserem letzten Buch "Das Yanomami-Massaker", weil wir die FUNAI ein bißchen madig gemacht haben. Für den Fall, daß man uns an der Grenze zurückweist, gehen wir über Venezuela illegal rein. Ich hatte auch illegal Waffen mit.
  • S: Haben Sie auf Ihren Unternehmungen schon irgendwelche Krankheiten bekommen?
  • N: Ja, vor allem Malaria.
  • S: Hat sich von der Entwicklung her in den letzten Jahren etwas Positives in Bezug auf den Schutz der Indianer getan?
  • N: Bei den Yanomami speziell: ja. Ihr Land ist vermessen worden, abgesteckt und grundbuchlich als Schutzgebiet festgelegt, aber bei den anderen nicht.
  • S: Was ist aus der Idee des Yanomami-Park geworden?
  • N: Das ist jetzt ein Schutzgebiet.

01.02.2010

EXPERIMENT-Sonderheft (November 1992)

  Inhaltsverzeichnis
 

An unsere Leser

 

Nelly Sachs Gerettet
Dr. G. Westphal Die jüdischen Schülerinnen der ehemaligen Höheren Töchterschule
  Reaktionen auf das Sonderheft "Die jüdischen Schülerinnen der Elisabethschule"
Georg Wieder Denken und Gedenken • Schülerarbeiten zum Mahnmal
Regina Neumann Hedwig Jahnow oder Das Scheitern der Assimilation
Dr. Benno Keßler Martha Strauß (1892-1979)
Renate Westmeier Zur Geschichte der Juden in Buchenau und Elmshausen
Dr. G. Westphal Jüdische Testamente im 19. und frühen 20. Jahrhundert
Sonja Lührmann Gedanken zum ersten Sonderheft
Ludolph/
Schreyer/Kraatz
Der Fall Rubino - Vom Fremdsein in der Heimat
Nelly Sachs Kommt einer von ferne
  Impressum 

An unsere Leser

Wenn wir ein zweites Sonderheft unserer Schulzeitung "Experiment" mit Erinnerungen an die jüdischen Schülerinnen und Lehrerinnen der Elisabethschule vorlegen, so deshalb, weil wir den Prozess der Erarbeitung dokumentieren und Zeugnis ablegen wollen davon, dass dieser keineswegs ein Ende gefunden hat. Geholfen hat uns das große Interesse, das das erste Sonderheft (November 1990) auch weit außerhalb von Marburg, gefunden hat – es ist vollständig vergriffen: auch deshalb erscheint es uns notwendig, mit dieser überarbeiteten, ergänzten und weitergeführten Fassung an eine größere Öffentlichkeit zu treten.

Im ersten Teil findet sich das überarbeitete "Verzeichnis", das nicht zuletzt auf Grund des "Echos" ergänzt werden konnte, für das einige der Briefe an die Autorin stellvertretend stehen. Wir danken für die Erlaubnis, sie zu veröffentlichen; dies gilt auch für den Suhrkamp Verlag, der den Abdruck zweier Gedichte von Nelly Sachs gestattete, die diesmal den Rahmen bilden. In ihnen klingen die Themen dieses Heftes an – einmal die "Erinnerungen" zum anderen der "Fremde". Denn die Aufgabe des Gedenkens schließt die andere mit ein: sich den Forderungen der Gegenwart zu stellen, einer Gegenwart, die in der wachsenden Feindschaft gegen Fremde beängstigende Parallelen zeigt zu den "finsteren Zeiten", die wir vergangen glaubten.

Im Zentrum dieses Heftes steht die Dokumentation zur Auseinandersetzung mit dem Mahnmal für die Elisabethschule. Die Entwürfe beweisen die Ernsthaftigkeit, mit der sich Schülerinnen und Schüler der Aufgabe stellen. Das gilt auch für die Arbeiten zweier unserer Schüler aus dem "Schülerwettbewerb - Deutsche Geschichte" zum Thema "Unser Ort - Heimat für Fremde?", die wir hier vorlegen können. Sie schärfen am Beispiel der Vergangenheit unser Bewusstsein für eigenes Verhalten in einer Zeit, in der immer mehr Menschen ihre Heimat verlassen müssen und in der Fremde eine Bleibe suchen.

Die Redaktion

Die jüdischen Schülerinnen der ehemaligen Höheren Töchterschule, heute Elisabethschule (1878 bis 1938)

Von Dr. Gudrun Westphal

Das Schülerinnenverzeichnis der Elisabethschule nennt in sechzig Jahren 180 Namen jüdischer Schülerinnen. Mit dem November 1938, als das letzte jüdische Kind die Schule verlassen musste, endete nicht nur in Marburg ein langer Prozess jüdischer Emanzipation und gemeinsamen Lebens mit der christlichen Bürgerschaft, der in der ersten Hälfte des 19. Jhdts. intensiviert wurde und der nicht zuletzt in der Teilnahme an der allgemeinen Bildungstradition begründet war. Mit dem kurhessischen Schulgesetz von 1823 wurden auch die jüdischen Kinder erfasst und damit in eine Gleichbehandlung eingebunden, die es nun jüdischen Familien offiziell erlaubte, am Bildungskanon der Gesellschaft teilzuhaben, der in vielen jüdischen Häusern ja schon längst Allgemeingut geworden war. Immer weisen einzelne Personen auf Tendenzen hin: Leopold Eichelbergs Studium und medizinische Dissertation der Marburger Universität von 1825 und sein demokratisches Engagement in der Verbindung mit Ludwig Weidig und dem zweiten Druck des "Hessischen Landboten" bei Elwert in Marburg (für das er mit langer Kerkerhaft bestraft wurde) zeigen die Bereitschaft jüdischer Menschen, die von Staat und Gesellschaft zögernd gewährte Öffnung anzunehmen. Das "Kasseler Tageblatt" war eine Gründung der Gebrüder Gotthelft und achtzig Jahre lang im Besitz der Familie und wie die "Frankfurter Zeitung" von Leopold Sonnemann ein Blatt der liberalen Mitte. Immer mehr besuchten Gymnasien und Universitäten, besonders die medizinischen und juristischen Fakultäten bildeten im 19. Jh. Anziehungspunkte, wobei die Berufslaufbahn allerdings noch lange Zeit von der jüdischen Religionszugehörigkeit behindert wurde, und unauslöschlich ist der Anteil jüdischer Wissenschaftler an der Ausbildung der modernen Naturwissenschaften. Sieht man von hervorragenden Familien und Einzelpersonen des 18. und frühen 19. Jhdts. ab, hatten die deutschen Juden von den zögernden Anfängen der politisch-gesellschaftlichen Emanzipation bis 1933 rund hundert Jahre Zeit, um Literatur, Musik, bildende Kunst und Wissenschaft, Politik und Ökonomie Deutschlands in der glänzendsten Weise zu bereichern und der Höhepunkt lag dabei sicher im Kaiserreich. Der Physiker David Nachmansohn verschafft uns in seinem Buch einen Überblick über die Arbeit jüdischer Naturwissenschaftler, besonders der Physiker.Opens internal link in current window[1] Er weist dabei auf die besondere Wertschätzung hin, die Kaiser Wilhelm II., trotz ausgeprägter antisemitischer Neigungen, den Verdiensten deutscher Juden für das Deutsche Reich entgegenbrachte und betont auch das von Wilhelm II. verlangte korrekte Verhalten aller Behörden Juden gegenüber. Deutlich wird auch bei unserer Untersuchung, dass die jüdische Bevölkerung des Kurstaates Hessen, seit 1866 des preußischen Staates und seit 1871 des Deutschen Reiches in formalrechtlicher und formalstaatlicher Behandlung keine Zurücksetzung erfuhr.Öffnet internen Link im aktuellen Fenster[2] Es gab im spätabsolutistischen Hessen staatliche Aufsicht, etwa in den gesondert geführten Einwohner- und Gewerbelisten, aber es gab keine Beschränkungen zu leben, zu wohnen, zu arbeiten, sich Land zu kaufen und, nach den kurhessischen Emanzipationsgesetzen von 1833, zu wählen. In der Liste der stimmfähigen Einwohner zur Wahl eines Deputierten und eines Stellvertreters der Stadt Marburg zum kurhessischen Landtag 1839 stehen unter anderen auch Falk Erlanger, Ascher Buxbaum, Salomon Gosen, Manche Fränkel, Salomon Plaut.Öffnet internen Link im aktuellen Fenster[3] Die kurhessische Verordnung zur gleichmäßigen und unveränderlichen Namensgebung vom 14. Mai 1816 galt für alle Einwohner und es gab für jüdische Bürger keinen diskriminierenden Namenszwang. Die alltäglichen Erscheinungsformen des latenten und offenen Antisemitismus: Beschuldigungen, Anfeindungen, Geschäftsbehinderung waren dabei immer gegenwärtig, besonders auf dem Land, wo die Symbiose besonders eng war und deshalb aus heutiger Sicht die Feindschaft besonders unverständlich. Die oberhessischen Bauern gaben mit Begeisterung Otto Böckel ihre Stimme, der als erklärter Antisemit in den Deutschen Reichstag einzog, weil die wirtschaftliche Verflochtenheit mit den "Viehjuden", den jüdischen Viehhändlern auf dem Lande, die auch als Kreditgeber fungierten, ihnen oft bedrückend erschien, ohne dass sie ihren engen ökonomischen Spielraum objektivieren konnten, aus dem heraus Antisemitismus als legitime Schuldzuweisung galt. Aus den Schulakten geht hervor, dass die jüdische Gemeinde Marburgs einen dauernden Kampf mit der Stadt um Unterhaltsbeitrag und geeignete Schulräume für die jüdische Volksschule führen musste und mit ihren Forderungen offenbar als lästig empfunden wurde. Der fatale sog. Berliner Antisemitismusstreit, den Heinrich von Treitschke in den "Preußischen Jahrbüchern" am 15. November 1879 mit seinem Aufsatz "Unsere Aussichten" eröffnet hatte, kann als Ausdruck des im Kaiserreich neu aufblühenden Antisemitismus gelten.Öffnet internen Link im aktuellen Fenster[4] Trotzdem soll betont werden, dass daneben Nachbarschaften und Geschäftsverbindungen und gemeinsame Schulzeiten als selbstverständlich galten.

Während für Schüler das Gymnasium Philippinum und die Oberrealschule (später Martin-Luther-Schule) der Zeit angemessene Bildungseinrichtungen darstellten, mit einer räumlich weitgespannten Schülerklientel, fehlte für Schülerinnen eine entsprechende staatliche oder städtische Schule. Die Fortführung der privaten Mädchenschulen als städtische höhere Lehranstalt seit 1878 war ein wichtiges Ereignis.[5] Das Bildungsangebot für Mädchen wurde von allen Bevölkerungsschichten und auch von der jüdischen Einwohnerschaft wahrgenommen und die Wohnorte der Schülerinnen reichten weit ins Umland hinein. Zugverbindungen, es sei hier an die alte Kreisbahn erinnert, und private Pensionsangebote in Marburg erleichterten dabei den Schulbesuch und die Zahl der Schülerinnen stieg kontinuierlich, wobei der Anteil der jüdischen Kinder nach dem Ersten Weltkrieg zurückging (entsprechend der rückläufigen jüdischen Einwohnerzahl Marburgs): 1909 4,2% (16) bei 380 Schülerinnen, 1928 3,3% (14) bei 419. Das heißt: ein bis drei jüdische Mädchen pro Klasse. Zum Vergleich katholische Schülerinnen: 1909 3,6% (14), 1928 5,9% (25). An der Elisabethschule war es üblich, eine rein evangelische und eine gemischt-konfessionelle Klasse einzurichten, in der die Religionsstunden parallel gehalten wurden. Die Elisabethschule war keine elitäre Anstalt, sondern zeigte trotz der Schulgeldforderung[6] in der bunten Mischung ihrer Schülerklientel von Anfang an ihr offenes Gepräge. Die Klassenverzeichnisse wecken Erinnerungen an viele bekannte, nun aus dem öffentlichen Gesichtsfeld verschwundene Namen alter Marburger Geschäftsfamilien, Beamte, wie auch bekannter Professoren der Marburger Universität, und bilden unter der Hand ein "Who's who" vergangener kleinstädtischer Geschlossenheit. Wir finden die Namen Dörlam und Matthaei, Dallwig und Plitt, von Baumbach und von Heusinger, die Universitätsprofessoren Disse und Elster und Feyerabend, Rade und Troeltsch, Hensel, Natorp, Jung, Bielschowsky, daneben Reckow, Flothmann, Bartenwerffer, Freiwald, Kätelhön und Klonk, Klingelhöfer, Seebode, Berdux, Textor, Niderehe, Rohde, Arnemann, Kujus. Die Namen der jüdischen Familien, seit ebenso vielen Generationen in Marburg und dem Umland ansässig gewesen, waren schon seit spätestens 1942 ausgelöscht.

Im folgenden Verzeichnis werden für jede Schülerin alle verfügbaren Daten genannt.[7] Das ergibt in der Auflistung ein unterschiedliches Erscheinungsbild, weil bei einer Reihe von Schülerinnen außer der Eintragung ins Schulverzeichnis keine weiteren Angaben gefunden werden konnten. Da das erste Schulverzeichnis nicht den Namen, nur den Beruf des Vaters nennt, meistens Kaufmann, konnten auch nicht immer Familienbeziehungen hergestellt werden. Hier halfen für das 19. Jh. andere Quellen. Heißt es etwa bei Bertha und Clothilde Fürst Opens external link in new window(41/42) vom Vater: Frucht- und Mehlhändler zu Marburg, so gab das Adressbuch [8] Aufschluss, das Name und Beruf nennt. Handelte es sich dabei um die einzige jüdische Familie Fürst, schien die Annahme eines Familienzusammenhangs erlaubt. Andrerseits sind schon Name und Geburtsdatum wichtige Angaben. Zusammen mit dem Geburtsort konnten in den Geburtsverzeichnissen der jüdischen Gemeinden [9] nicht nur Vater und Mutter herausgefunden werden, sondern oft auch noch Geschwister und mit der Ergänzung der Heiratsregister auch weitere verwandtschaftliche Verbindungen. Auf diese Weise ergab sich auch ein Hinweis auf die enge verwandtschaftliche Verflechtung der jüdischen Familien Kurhessens im 19. Jh., die Folgerungen zulässt: Der familiäre Rahmen bot menschlichen, religiösen und geschäftlichen Schutz. Der Einblick in die Testamente [10] erweiterte die Zuordnungsmöglichkeiten und bot eine Fülle neuer Daten: Verheiratung, Ehenamen, Wohnorte, Auswanderung. Mit dem Namen und dem Geburtsdatum war es auch möglich, aus den Gedenkbüchern z.B. der Städte Kassel und Frankfurt und aus dem großen Gedenkbuch des Bundesarchivs Koblenz Deportation und Ermordung festzustellen. Dazu kommen die Listen und Überwachungsunterlagen aus der Zeit des Nationalsozialismus. Vielleicht erscheint die Datenangabe zu gehäuft. Aber sie bietet Einblick in Lebensdauer, durchschnittliches Heiratsalter, Altersabstand der Ehepartner, Ausdehnungsradius der Eheschließungen, Geburtenfolge, Geburtenhäufigkeit. Es war darüber hinaus ein Anliegen, Namen und Daten zu nennen, die normalerweise in den Bereich familiärer Erinnerung fallen, die aber niemand mehr nennen kann. So sind auch die alten jüdischen Vornamen erwähnt, die dann von den sogenannten bürgerlichen abgelöst wurden. Mit Bedacht werden Eltern, Großeltern und Geschwister genannt, um den Familienalltag zu zeigen und wie die nationalsozialistische "Endlösung" die Familien auslöschte und dabei keine Generation verschonte.

Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs und der wirtschaftlich angespannten Situation der Weimarer Republik änderte sich auch das politisch-gesellschaftliche Klima: völkische Gruppen griffen den alten Antisemitismus mit rassischen Parolen wieder auf und das wirtschaftliche Konkurrenzdenken richtete sich verstärkt auf die die jüdische Geschäftswelt. Rechtsstaatlichkeit und das noch nicht staatlich abgetötete Gefühl für gute Sitten lassen aber die Jahre der Weimarer Republik als normale Jahre erscheinen. Nachdem allerdings mit Beginn des Jahres 1933, die entscheidenden Monate waren März und April, die ersten gelenkten Großaktionen des nationalsozialistischen Regimes gegen die jüdische Bevölkerung begonnen hatten, Geschäftsboykott und Verabschiedung des Gesetzes zur "Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" [11], hörten Bedrohungen, Belästigungen, verhetzende und tätliche Angriffe und Berufs- und Geschäftsbehinderungen nicht mehr auf. Trotz zeitweiliger Entspannung, etwa während der olympischen Spiele in Berlin 1936, nahmen die Repressionen zu und während sie für den betrachtenden und betroffenen Zeitgenossen einzelne, nicht immer abzuschätzende Neuerungen waren, bietet sich dem Zurückblickenden das Bild einer sich steigernden tödlichen Bedrohung. 1936 etwa wurden jüdische Familien der Umlandgemeinden gezwungen, ihre Häuser zu verlassen und nach Marburg zu ziehen. Mit den Ereignissen des Novembers 1938 war ein Punkt erreicht, der weder zu Stillstand, gar Normalisierung, nur zu noch brutalerer Ausgrenzung führen konnte. Kennkarten- und Namenszwang, das Juden-J auf dem Ausweis, die Eingriffe in Eigentum und Privatleben und schließlich der gelbe Stern waren weitere Maßnahmen bis zu den ersten Deportationen 1941. Marburg zeigte sich in allem als ein getreues Spiegelbild der Situation im Reich.

Für Marburg und das Umland gab es drei "Umsiedlungsaktionen": im Mai wurden die jüdischen Einwohner der Landgemeinden in Roth oder Wohra zusammengefasst, in der Stadt Marburg schon vorher in "Ghettohäusern", und im Dezember 1941 "nach dem Osten" gebracht, wahrscheinlich ins Ghetto Riga, Ende Mai 1942 dann nach Lublin (Maidanek), für viele ist der Zielort bis heute ungewiss, es heißt "im Osten verschollen". Die vertuschende Sprache in den Akten nennt für die Aktion im Dezember und Mai: "unbekannt verzogen", aber auch "abgeschoben".[12] Das Ghetto Riga war ein großes Auffanglager für deutsche und österreichische Juden, in dem systematisch, durch Erschießen, in Gaswagen, und wahllos getötet wurde, Frauen, Kinder, alte Menschen, dazu kam Vernichtung durch Arbeit und Hunger. Die dritte und letzte Deportation aus Marburg und den Gemeinden erfolgte Anfang September 1942 nach Theresienstadt ("ausgewandert"), von wo viele sofort oder nach unterschiedlicher Aufenthaltsdauer nach Auschwitz gebracht wurden. Es ist auffällig, dass sehr alte Menschen dabei waren und wie schnell sie gestorben sind. Das Ghetto Theresienstadt war von den Nazis als Vorzeigeghetto gedacht, was auch der Propagandafilm "Der Führer baut den Juden eine Stadt" zeigen sollte, kein Vernichtungslager, dessen Wohn- und Lebensbedingungen dennoch für die meisten alten Menschen tödlich waren. Selma Munk (1) war 82 und starb nach 4 Monaten, Isaak Strauß (148) war 85 und starb nach einem Monat, Caroline Höxter-Blumenfeld (64) war 85 und starb nach einer Woche, Johanna Cahn-Oppenheim (100) war 86 und starb nach einer Woche. Kinder und Enkel waren vor ihnen in die Vernichtungslager verschleppt worden. Schon die letzten Monate in Marburg hatten sie allein und hilflos verbracht. Das jüdische Museum in Frankfurt zeigt einen Film über Theresienstadt und nennt die Gründe für den schnellen Tod: außer Hunger Lungenentzündung, Durchfallkrankheiten und Verzweiflung.

Viele Menschen hatten nicht auswandern wollen, keiner konnte sich das Schlimmste vorstellen, viele stellten den Auswanderungsantrag zu spät, viele wurden in den Exilländern nicht mehr aufgenommen. Nach dem Überfall auf die Sowjetunion und dem Kriegseintritt Amerikas 1941 gab es keine Flucht mehr nach Übersee und die erste Deportationswelle lief an, die alle überfallenen europäischen Länder erreichte. Von den ehemaligen Schülerinnen der Elisabethschule werden alle Altersstufen erfasst. Dina Lucas (89) war mit 75 die Älteste, Marion Reis (108) mit 17 die Jüngste, Bertha Baer (7) wählte mit 73 Jahren den Freitod, Lieselotte Isenberg (69) mit 36. Aus Holland wurde Hilde Bachrach (5) mit 29 verschleppt, Irene Frenkel (39) mit 33, Johanna Narewczewitsch (98) mit 41 - das Sammellager Westerbork war eine Station vor Auschwitz wie das Lager Drancy in Frankreich. Sicherheit in Europa gab es nach Kriegsbeginn nur in den Ländern England, Schweden und Schweiz, wobei es in England Deutschen, darunter mühsam entkommenen Juden, widerfahren konnte, auf berüchtigten Deportationsschiffen, wo sie von der Mannschaft ausgeplündert und misshandelt wurden, in Internierungslager nach Kanada und Australien gebracht zu werden.[13] Die zurückhaltende Einwanderungspolitik der Schweiz ist bekannt (vgl. 40); Schweden bot wirklichen Schutz, wie an der Grenze Europas die Türkei, die Hunderten von verfolgten Juden und Nichtjuden unter Ata Türk ein Zufluchtsland wurde (u.a. dem entlassenen Marburger Professor Wilhelm Röpke, dem späteren Berliner Oberbürgermeister Ernst Reuter).[14] Sichere Orte in Übersee waren vor allem die amerikanischen Länder, aber auch Südafrika und natürlich Palästina. Schülerinnen der Elisabethschule und ihre Familien sind in alle diese Länder gegangen.

Im folgenden Verzeichnis steht

  • eine kursive und fette Auszeichnung für Deportation, was gleichzeitig Ermordung bedeutet.

  • ES heißt Elisabethschule, MLS Martin-Luther-Schule, damalige Oberrealschule, MR Marburg, Ffm. Frankfurt, Kfm. Kaufmann, geb. steht für geboren, gest. für gestorben, gef. für gefallen, gen. für genannt, verh. für verheiratet, verw. für verwitwet, dep. für deportiert, versch. für verschollen,

  • (Nr.) verweist auf Verbindungen untereinander, Sel. steht für Selecta, die nach der obersten Klasse (I) folgende Aufbauklasse der Elisabethschule,

  • GB heißt Gedenkbuch des Bundesarchivs Koblenz 1986, in dem die Opfer der Verfolgung zusammengetragen sind. OZ ist die damalige Oberhessische Zeitung, jetzt OP, Oberhessische Presse.

  • Alte Straßennamen sind im Verzeichnis beibehalten worden: Kasernenstraße - Gutenbergstraße, Weißenburgstraße - Schückingstraße, Obere Rosenstraße - Rosenstraße.

  • Es ist versucht worden, für alle Schülerinnen die Dauer ihres Schulbesuchs und die Abschlussqualifikation zu notieren, doch ist dies leider aufgrund der unvollständigen Angaben besonders des ersten Schulverzeichnisses nicht möglich. So bedeutet etwa ES 1878 nicht, dass das betreffende Kind nur ein Jahr in der Schule war, sondern dass außer dem Schuleintrittsjahr weitere Angaben fehlen.

Herzlicher Dank gilt allen, die zum Verzeichnis beigetragen haben: Frau Barbara Händler-Lachmann von der Geschichtswerkstatt, Kollegen aus dem Archiv, Herrn Willy Sage von der christlich-jüdischen Gesellschaft, den Freunden, Mitschülern, Nachbarn und Verwandten der ehemaligen Schülerinnen, den ehemaligen Schülerinnen selbst, die nach der ersten Ausgabe mit wertvollen Ergänzungen geholfen haben. Wo es aufgrund weiterer Nachforschungen möglich war, sind Fehler verbessert, Ungenauigkeiten beseitigt worden. Inzwischen ist der erste Band der Untersuchungen von Barbara Händler-Lachmann und Thomas Werther erschienen, Vergessene Geschäfte - verlorene Geschichte [15], mit dem sich eine Reihe von Familienangaben überschneiden. Da die hier vorliegende Untersuchung nach dem Abschluss der Druckvorlage von Händler/Werther noch weiter geführt wurde, bietet das folgende Schülerinnenverzeichnis in Familieneinzelheiten Ergänzungen und Berichtigungen, während es in anderen Angaben hinter Händler/Werther zurückbleibt. Dem interessierten Leser seien deshalb beide Verzeichnisse empfohlen.

1. Abraham, Dorothea geb. 10.5.1864, Treysa
ES 1879

jüdischer Name: Duschen. Vater: Abraham Abraham. Mutter: Sprinzchen geb. Strauß aus Kirchhain. Dorotheas ältere Schwester Selma, geb. 14.4.1860, Schönchen, die am 25.3.36 nach Ffm. umzieht (wahrscheinlich ins jüdische Altersheim), wird im Sept. 42, 82-jährig, nach Theresienstadt deportiert, wo sie am 9.1.1943 stirbt. Sie war mit dem Provinzialrabbiner Dr. Leo Munk verheiratet (Wohnung: Kasernenstraße 4, Universitätsstraße 14), geb. 23.10.1851 Altona, gest. 2.2.1917 MR, während dessen Amtszeit die Marburger Synagoge in der Universitätsstraße gebaut wurde (1896, 1938 von der Marburger SA verbrannt und abgerissen). Dr. Munk war zusammen mit Prof. Dr. Hermann Cohen und dem Lehrer Abraham Strauß auch der Initiator des jüdischen Schülerheims.[16] (vgl. Axel Erdmann, Die Marburger Juden [17])

2. Adler, Trude geb. 19.10.1906, MR
ES 1916–1923

Vater: Julius, Kfm., geb. 30.8.1865 in Kelsterbach, deportiert 6.9.42, "7.9.42 abgewandert", am 30. Okt. 1942 77-jährig in Theresienstadt gest., Mutter: Klara geb. Eschwege, geb. 8.12.1879 Fulda, gest. MR 1.1.1934. Wohnung: Elisabethstraße 15. Julius Adler hatte das Geschäft Erlanger übernommen. Trude heiratet im April 1936 Alfred Wertheim und wandert im Mai in die USA aus, wo sie heute noch lebt. Bruder Hans, geb. 7.7.1910, war schon kurz vorher nach New York ausgewandert.

3.
 
4.
 
Bachrach, Henriette
 
Bachrach, Margrit
 
geb. 7.12.1909, MR
ES 1917-29, Abi, Stud.
geb. 3.3.1916, MR
ES 1926-32

Vater: Samuel, Kfm. (Getreidemittel), geb. 9.2.1879 Neustadt. Samuel B. ist Vorstandsmitglied der jüd. Gemeinde MR. Mutter: Charlotte geb. Eichelberg, MR, 28.12.1885 (30). Brüder: Theodor 21.12.1911, Alfred 20.8.1921, Berthold 24.12.1922 (genannt nach Charlottes gefallenem Bruder Berthold, 31). Familie wohnt Bahnhofstraße 36, später (1938) Barfüßertor 15b. Eltern und Brüder Alfred und Berthold wandern 1939 nach Palästina aus.
Henriette heiratet 1934 Dr. Abraham Cohn, geb. 5.6.1906, den Sohn des vorletzten Marburger Provinzialrabbiners Dr. Naphtali Cohn (weiterer Sohn Siegmund, 31.10.1907, beide MLS 1919–22 und 1922–25) und wandert ebenfalls nach Palästina aus. Die Dissertation Abraham Cohns, MR 1933 bei Prof. Wilhelm Mommsen, "Beiträge zur Geschichte der Juden in Hessen-Kassel im 17. und 18. Jh.", kann in der UB MR eingesehen werden. (Abraham Cohn hörte u.a. auch bei Martin Heidegger)
Margrit verlässt die Schule 1932, "will Farmerin werden", wandert 1934 nach Palästina aus. Henni Bachrach (3) in einer Klasse mit Rosalie Frenkel (38), Brunhilde Plaut (105), Ilse Schaumberg (119).

5.
 
6.
 
Bachrach, Hilde
 
Bachrach, Ilse-Judith
 
geb. 21.2.1914, MR
ES 1923–33, Abi
geb. 3.1.1919, MR
ES 1928-29

Vater: Adolf, Kfm., geb. 18.7.1880, gest. 6.1.1928 (Bruder Samuel Bachrachs, 3, 4) Mutter: Cilly, geb. Carlebach, 22.8.1887 Ffm. (Carlebachs eine alte rabbinische Familie), geht 11.3.38 nach Ffm., wo sie das Altersheim in der Wöhlerstraße leitet, von dort aus deportiert (GB: Ort unbekannt) und verschollen. Hilde heiratet Joseph Stibbe, geht im Jan. 1934 nach Amsterdam. Sie kommt mit Mann und Kind von Holland aus ins Lager Sobibor, für tot erklärt.
Bei Judiths Einschulung: Cilly Witwe.
Familie wohnt Bahnhofstraße 19. Ilse wird am 29.9.1933 der Schule verwiesen, entsprechend den allgemeinen Anweisungen, die Zahl der jüdischen Schüler zu verringern. Sie geht im Juni 1935 über Holland nach England, wo sie noch heute lebt. Im Schülerinnenverzeichnis steht ohne weitere Bemerkung: "will Kindergärtnerin werden".  
Familie Bachrach, ursprünglich aus Neustadt stammend, wo auch weiterhin Zweige der Familie lebten, war eine große Familie (s. Genealogie). Zu erwähnen ist Dr. Ludwig Bachrach, der Bruder Samuels und Adolfs, einer der jüdischen Rechtsanwälte in MR (außer Dr. Goldberg, später Dr. Reis, Dr. Wertheim). Er wandert mit seiner Familie 1934 nach Frankreich aus, wo er 1942 stirbt. Seine Söhne Walter, 9.6.1915, und Albrecht, 16.3.1922, (Schüler der MLS) kommen im Sept. 1942 vom Lager Drancy aus (bei Paris) nach Auschwitz. Frau Berthe Bachrach überlebt. Weitere Geschwister sind Sara verh. Kapp (83), Fanny, verh. mit David Strauß in Kirchhain (Auswanderung), deren Söhne Leopold, 17.2.1900, Herbert, 22.9.1902 und Jakob, 23.4.1906, die MLS besuchten, Rosa verh. Gans Ffm (GB: Auschwitz versch.), Willy Bachrach, später Offenbach, Bella verh. Sichel, Henriette od. Sophie verh. Vogel, Aschaffenburg. Eine Kusine war Bianka Bachrach aus Neustadt, verh. mit Bruno Rosenthal, der ebenfalls die Auswanderung gelang.

7. Baer, Bertha geb. 10.6.1867, Niederwildungen
ES 1880

Vater: Kfm. Zieht später nach Kassel, dort 20.4.1940 Freitod. (GB)

8. Bär, Erna geb. 24.10.1906, MR
ES 1916–23

Vater: Carl, 22.7.1872, Kfm., Casseler Straße 3 3/4 (Kohlen- und Produktenhandel Stern und Bär, 130–32). Mutter: Frieda, geb. 4.2.1877; Eltern wandern Juli 1939 nach Brasilien aus. Erna heiratet 12.5.1933 Adler, Weilburg. Bruder Hugo, geb. MR 11.5.1904 (MLS 1914–19), wandert 1935 nach Sao Paulo/Bras. aus.

9. Baum, Rosa geb. 13.7.1871, MR
ES 1879 wdh. 1883

Vater: Kfm. Meyer Baum aus Wittelsberg, MR, Am Grün, gest. 26.7.1918 (s. Genealogie), 1872 Gemeindeältester zus. mit Manus Stern. Verheiratet mit Jacob Bergel, geb. 9.7.1858 in Posen, Leiter des israel. Schülerheims in MR, Schulstraße 7 (Filiale Schwanallee 15: Leiter Dr. Schlesinger, 122), gest. MR 22.7.1935. Zwei Söhne: Raphael, 6.5.1901, aus der ersten Ehe Bergels mit Fanny Baum und Israel, geb. 23.2.1911 (auch Gotthard gen., MLS 1920-27). Raphael Bergel lebt heute in New York, Israel Bergel in Israel. Jacob Bergel und Fanny Baum Friedhof MR. Rosa wird im Sept. 42 nach Theresienstadt deportiert, von dort am 29.9.42 nach Maly Trostinec.

10.
 
11.
 
12.
 
 
Baum, Rikka
 
Baum, Blanka
 
Baum, Flora
 
 
geb. 15.8.1893
ES 1905–08
geb. 4.7.1895
ES 1905–10 I
geb. 5.7.1896
ES 1906–12 I
alle in Neukirchen

Vater: Markus, bei Schuleintritt der Kinder schon verstorben.
Mutter: Rosalie B., Rentnerin und Witwe, geb. Linz aus Rotenburg 16.9.1865, gest. MR 15.1.1938 (Friedhof MR). Familie wohnt zuerst Frankfurter Straße, seit 1919 Besitzer Heusingerstraße 1. Blanka verlobt sich am 27.12.22 mit Hugo Rosenbusch aus Ffm. (OZ vom 27.12.1922) Eine weitere Tochter, Bertha, ist die Mutter von Hanna Goldschmidt (50)
Blanka Baum war in einer Klasse mit Hedwig Disse, Vera Elster, Elisabeth Feyerabend; Flora Baum mit Martha Goldberg, Charlotte Hensel, Gerta Höxter, Auguste Staubesand.

13. Baum, Klara geb. 11.10.1900, Treysa
ES 1915/16 I

Vater: Abraham B., Kfm., Treysa, Mutter: Amalie geb. Levisohn. Brüder: Leo, 5.11.1897, Max, 8.1.1899, beide MLS 1908-13, 1909-14.

14. Baum, Elfriede geb. 6.4.1913, Wittelsberg
ES 1924–27

Vater: Karl, Sattlermeister

15. Beifuß, Henriette geb. 14.7.1900, Berleburg
ES 1916–18 I

Vater: Gottlieb B., Kfm., Berleburg. Brüder: Karl, 2.10.1893, Richard, 28.6.1899, beide im israelitischen Schülerheim und MLS 1905–12 Abi, 1911–15. Walter Beifuß, Berleburg 30.5.1902, Vater Adolf B., offensichtlich ein Vetter, wohnt während der Schulzeit bei Frau Rosa Eichelberg, Friedrichstraße 7.

16. Bergenstein, Käthe geb. 19.5.1913, MR
ES 1923–25

Vater: Julius, Metzgermeister, geb. 13.2.1885 Roth, gest. MR 13.10.1918. Mutter: Selma, geb. Goldwein, 7.3.1889 Meinbressen, wandert 1939 nach Brasilien aus, stirbt dort 1985. Die Familie wohnt Barfüßerstraße 9. Käthe lernt Schneiderin, geht am 14.7.34 nach Antwerpen, 1935 nach Brasilien, vielleicht zusammen mit dem Bruder Sally, geb. MR 6.1.1915, (MLS) Kfm., der am 22.10.1935 nach Rio de Janeiro geht. Die Schwester Ilse Rika, geb. MR 4.8.1917, zieht am 26.11.38 nach Dänemark, wohnt heute in Ffm.    
Ein Bruder des Vaters, Sally B., geb. Roth 28.2.1887, fällt 1914, war Metzger wie Julius und ihrer beider Vater, Seligmann Bergenstein aus Roth, geb. 27.8.1855. Die Bergensteins waren in Roth seit Generationen ansässig.

17. Bing, Rosa geb. 14.2.1889, Oberseemen
ES 1899

Vater: Eisemann/Emil, Kfm. Rosa "wohnt bei Sal. Strauß", Kasernenstraße 19. Bruder: Berthold, 12.5.1890, MLS 1902-06.

18.
 
19.
 
Blumenfeld, Dina
 
Blumenfeld, Caroline
 
geb. 20.4.1867, Momberg
ES 1878–82
geb. 27.2.1869, Momberg
ES 1878–82

Vater: Kaufmann Meyer Blumenfeld aus Momberg, geb. 12.12.1840, Kohlenhändler in MR, gest. 14.4.1903. Verheiratet (8.1.1866) mit Sara geb. Strauß, geb. 21.1.1844 Amöneburg, gest. 26.2.1912. Familie wohnt Kasernenstraße 16. Die Blumenfelds waren eine seit Generationen in Momberg ansässige Familie. (s. Genealogie)
Dina heiratet Moritz Blum aus Frankenberg, Caroline Sally Dannenberg aus Ffm., geschieden. Eine Schwester ist in Hersfeld verh. Weitere Geschwister waren schon vor 1912 nach Chicago ausgewandert. Die jüngste Schwester Johanna lebt bei der Mutter, eröffnet nach deren Tod 1912 eine kleine Pension, in der auch auswärtige Schülerinnen wohnten. (vgl. Testamente)

20.
 
21.
 
Blumenfeld, Tony
 
Blumenfeld, Hedwig
 
geb. 8.3.1876, MR
ES 1888
geb. 8.7.1877, MR
ES 1889

Vater: Moses, geb. Homberg 31.12.1850, gest. MR 4.6.1911, Kfm., ein Bruder Meyer Blumenfelds (18, 19). Mutter: Fanny geb. Bachrach, 9.3.1854, gest. 9.4.1928. Bruder: Ernst (22). Wohnung: Steinweg 30. Tony (Antonie) verheiratet mit Moritz Katz, Kfm., MR, Wettergasse 4. Mutter von Margarete Katz (84). Stirbt 24.9.1939.
Hedwig verheiratet mit Moritz Kaufmann, Bankbeamter, Mutter von Anna Kaufmann (85). Stirbt 5.9.1934. Hedwig und Tony Kusinen von Dina und Caroline (18, 19).

22. Blumenfeld, Lore Gertrud geb. 13.3.1927, MR
ES 1937/38

Vater: Ernst, Kfm., geb. MR 22.2.1889, gest. 24.4.35 (20, 21). Mutter: Bella geb. Tannenbaum, Hersfeld 2.3.1900. Brüder: Franz, geb. 1.3.1929, Paul, geb. 2.2.1932. Familie wohnt Steinweg 30 (Schuhhaus Mercedes), zusammen mit der Großmutter Fanny (20). Lore muss die Schule am 1.12.1938 verlassen "nach der Verfügung des Ministers vom 15.11.1938". Bella wandert mit den Kindern 18.11.1939 in die USA aus.

23. Blumenfeld, Thekla geb. 18.3.1872, Gießen
ES 1884

Vater: Kfm. S. A. Blumenfeld. Mutter: Cäcilie Erlanger, geb. MR 16.5.1849, gest. vor 1880 (dies geht aus der Testamentseröffnung ihres Vaters Moritz Erlanger, gest. 10.6.1880, hervor, 33). Wegen geschäftlicher Schwierigkeiten des Vaters zieht die Großmutter Rosa Erlanger geb. Wertheim die beiden Enkelkinder Thekla und ihren Bruder Felix, geb. Gießen 2.5.1873, in MR auf. Thekla heiratet 1894 den Kasseler Fabrikanten Max Grünbaum und ist die Mutter von Cäcilie Grünbaum (52). 1942 zieht sie nach Krefeld. Sie wird 1942 von dort nach Theresienstadt und dann nach Auschwitz deportiert. (Im GB heißt es: Minsk verschollen) Ihr Bruder, Dr. Felix Blumenfeld, Kinderarzt in Kassel, begeht 25.11.1942 Selbstmord. (GB Kassel) (s. Testamente, s. Genealogie)

24. Blumenfeld, Hilde geb. 9.6.1911, Kirchhain
ES 1926/27

Vater: Salomon, Kfm., geb. 0.5.1878.      
Mutter: Amalie geb. Levi, 28.7.1881. Salomon B. war 1924-33 Stadtverordneter (vgl. Arnsberg [18]). Beide wandern im März 1939 nach Brasilien/Rio aus, nachdem Salomon am 10.11.1938 mit anderen Kirchhainer Juden festgenommen und aus Buchenwald entlassen worden war. Hilde, verheiratete Meinrath, war offensichtlich schon vorher nach Rio gegangen.

25. Buchheim, Else geb. 19.12.1919, Cölbe
ES 1930

Vater: David Buchheim, geb. Lohra 6.7.1887, Viehhändler in Cölbe. Mutter: Paula Heß, 15.11.1892, Schwester von Bertha und Henriette Heß (59/60). Familie wandert 1938 nach Palästina aus.

26.
 
27.
 
Buxbaum, Ida
 
Buxbaum, Else
 
geb. 6.4.1884 (1885), MR
ES 1893–1901 Sel
geb. 10.4.1889, MR
ES 1895–1903

Vater: Ascher od. Adolf, Sensal (d. i. Handelsmakler), auch Regenschirmmacher wie Vater und Großvater. Universitätsstraße 20. Familie seit dem frühen 19. Jhd. in MR belegt. Der Großvater Koppel Buxbaum und seine Frau Amalie Freund gehören 1850 zu den Dissidenten (zeitweilig aus der Synagogengemeinde ausgetreten).
Else für tot erklärt, Auschwitz (GB).

28. Edelstein, Margarete geb. 9.9.1883, London
ES 1896–1900 Sel.

Vater: Moritz, Rentner. Margarete ist in einer Klasse mit Rubie Florsheim (36) und Clara Rosenbaum (109).

29.
 
30.
 
Eichelberg, Minna
 
Eichelberg, Charlotte
 
geb. 18.12.1875, MR
ES 1885
geb. 28.12.1885, MR
ES 1895–1901 Sel.

Vater: Hermann, Kfm., Bankier, geb. 6.7.1844 MR, gest. MR 1932, verheiratet (5.5.1874) mit Julie Rosenbaum aus Grebenstein (109), geb. 8.2.1850, gest. 1927. Familie Eichelberg war eine der altansässigen Marburger Familien. Menke Eichelberg, der Vater Hermanns, ein finanzkräftiges Mitglied der jüdischen Gemeinde, gehörte 1850 mit seiner ersten Ehefrau Minna Worms zu den jüdischen Dissidenten. Hermann E. war Mitglied des israelitischen Vorsteheramtes und war auch Vorstandsmitglied des israelitischen Schüler- und Lehrlingsheims. Sein Onkel, Dr. Leopold Eichelberg, der in Hermanns Beisein starb, gehörte zum Büchner-Weidig-Kreis. (Familie Eichelberg, s. Genealogie und Testamente, Friedhof MR)
Minna heiratet Kfm. Beni Rosenberg aus Hanau und wandert vor 1937 nach Palästina aus. Charlotte ist verh. mit Samuel Bachrach, Mutter von Henriette und Margrit Bachrach (3, 4); Kusine von Therese (31) und Tante Margarete Eichelbergs, Tochter ihres gefallenen Bruders Berthold E. (32).
Charlotte (in den dreißiger Jahren Vorstandsmitglied des israel. Schülerheims) wandert mit Mann und Söhnen Alfred und Berthold nach Palästina aus, nachdem die Existenzbedingungen durch Vernichtung des Geschäftes nicht mehr gegeben waren. Auch der Versuch Samuel Bachrachs, im Febr. 1938 eine Weinhandlung für "Nichtarier" einzurichten, wurde abgelehnt.

31. Eichelberg, Therese gen. Tessy geb. 22.6.1893, MR
ES 1902–09 Sel.

Vater: Hugo, jüngster Bruder von Hermann Eichelberg, Bankier, geb. MR. 13.3.1860, gest. 20.11.1902. Mutter: Rosa Haas (57). Großeltern: Menke Eichelberg und zweite Ehefrau Rebecca geb. Strauß., 8.12.1832 bis 29.6.1900, Schwester von Baruch Strauß (158/159). Brüder: Simon Heinrich Eichelberg, 30.4.1897, Hirsch Karl Eichelberg, 19.7.1900, beide MLS. Therese, verh. mit Jakob Steinhardt, und Heinrich wandern in die USA aus, dort beide verst., Therese in Boston; Karl geht nach Palästina, in Tel Aviv verst. (Auskunft Hugo Eichelberg, Sohn von Simon Heinrich E.)
Weitere Kinder Menkes und Rebeccas: Franziska, geb. 18.11.1854, verh. und verwtw. Rosenbusch, wohnhaft Barfüßertor 7, stirbt 7.12.1936 (Friedhof MR). Bertha, geb. 6.4.1858, verh. mit Samuel Meyer, Nachfolger des Geschäftshauses Eichelberg (92). Therese war in der Klasse mit Gerda Müller (96).

32. Eichelberg, Margarete geb. 25.3.1914, MR
ES 1923–33 Abi

Vater: Berthold 1882, Bankier, gefallen 1915 (Bruder Minnas und Charlottes, 29/30). Mutter: Frieda, geb. Birnbaum 11.2.1892. Frau Frieda Eichelberg gehört 1924-26 zum Elternbeirat der ES. Die Familie wohnte Kasernenstraße 10. 1935 zieht Frieda Eichelberg nach Düsseldorf; wird deportiert, in Minsk verschollen. Margarete geht 1933 zum Studium nach Würzburg, wandert nach Palästina aus.

33. Erlanger, Cäcilie geb. 11.11.1890, MR
ES 1897–1907 Sel.

Vater: Louis, Kfm., geb. 8.3.1860 MR, gest. 30.7.1922 in Kassel. Mutter: Therese geb. Gersfeld. Auch Familie Erlanger ist eine alteingesessene Marburger Familie, wanderte ursprünglich aus Heddernheim ein, und gehörte um 1850 ebenfalls zur Dissidentengemeinde (Großeltern Moritz Erlanger und Frau Rosa Wertheim, 23). Cäcilie heißt nach der verst. Schwester des Vaters (23). Familie Erlanger (Louis und Therese Erlanger mit den Kindern Cäcilie, Karl und Ludwig Moritz, cand. med. dent., sowie Louis' Schwester Thekla, geschiedene Ernst Eichelberg) zieht 1920 nach Kassel, Hohenzollernstraße, wo Cäcilie den Kfm. Max Löser heiratet. Sie haben einen Sohn Hans, wohnen Obere Königstraße. Dr. Ludwig Moritz Erlanger, geb. MR 9.6.1898, wandert nach Jerusalem aus. (vgl. Arnsberg) (s. Genealogie und Testamente)

34.
 
35.
 
 
Falk, Erna
 
Falk, Lilly
 
 
geb. 13.4.190*
ES 1915–20 I
geb. 24.1.1905
ES 1915–19**
beide Sulzbach/Oberpfalz

Vater: Simon, Bankbeamter MR. Friedrichstraße 10.
Erna heiratet 1923 Jacob Varenberg, geb. 8.10.1897 (Familie Varenberg stammt seit dem frühen 19. Jh. aus Meinbressen) und zieht nach Ffm., ist verschollen. Jacob Varenberg stirbt am 27.4.1943 in Theresienstadt.
Lilly Bankangestellte Ffm., im Adressbuch 1930/31 als Falk Elisabeth, Ketzerbach, verzeichnet.

36. Florsheim, Rubie geb. 13.6.1884, Richmond/Pennsylv.
ES 1898

Mutter: Molli, Rentnerin.

37. Frank, Ruth geb. 24.4.1909, MR
ES 1918-28 Abi/Stud.

Vater: Selmar, Kfm., geb. MR 6.8.1876. Mutter: Reni geb. Löwenstein, geb. 2.3.1886, gest. 25.4.1936 (Friedhof MR). Wohnung: Steinweg 2 1/2. Selmar Frank 1926/27 Elternbeirat der ES. 1939 wandert Selmar mit dem Sohn Werner, geb. MR 28.5.1921, in die USA aus. Ruth gehört zum ersten Abiturjahrgang an der Elisabethschule. Sie wandert vor 1939 aus.

38.
 
39.
 
 
Frenkel, Opens external link in new windowRosalie
 
Frenkel, Irene
 
 
geb. 5.4.1909
ES 1918-29 Abi, Stud.
geb. 4.6.1910.
ES 1920-28
beide Rauisch-Holzhausen

Vater: Simon, Kfm. (Manufakturwaren) und gelernter Buchbinder, geb. 6.4.1882. Mutter: Rosa geb. Löwenstein, 23.4.1878. Bruder: David 11.9.1911, MLS.
Opens external link in new windowRosalie heiratet Ende Sept. 1933 den Kfm. Siegfried Hellisch (od. Helischkowski) aus Weiden/Obpf. und wandert im Okt. 1933 nach Palästina aus, wo sie noch lebt. 
Irene heiratet 1932 Sally Cohen und geht nach Holland. Wohnhaft in Apeldoorn.  
Simon Frenkel wird am 6.3.1935 auf dem Fahrrad von Wil. Nau (SS) überfallen und verwundet. Das Verfahren wird eingestellt, "weil kein öffentliches Interesse vorliegt". Simon und Rosa Frenkel besuchen wiederholt ihre Töchter in Holland und Palästina: am 4.11.1936 heißt es "Jude (!) Frenkel war im vorigen Jahr in Holland", "im Frühjahr in Palästina", Grund jeweils: Entbindung der Tochter. An anderer Stelle: "Frenkel sowie seine Ehefrau befinden sich bei ihrer jüngsten Tochter - Frau Jenny Cohen in Apeldoorn in Holland. Eine Tochter ist in Palästina und der Sohn hält sich in Südafrika auf".
Am 10. Nov. 1938 wird Simon verhaftet und in "Schutzhaft" gebracht.
Im Januar 1939 wandern Simon und Rosa Frenkel nach Holland aus, am 10.3.1941 wird Simon als "jüd. Emigrant" bezeichnet und ausgebürgert. 1943 werden Simon und Rosa Frenkel sowie die Familie Irene Cohens mit Kind deportiert und kommen in Auschwitz um. Sara Mendel geb. Löwenstein 9.5.1876, die Schwester Rosa Frenkels, und ihr Mann Hermann Mendel, 11.2.1878, werden nach Theresienstadt deportiert, wo Hermann Mendel 1943 stirbt. Sara Mendel überlebt und kehrt nach R. Holzhausen zurück.

40. Freund, Selma geb. 18.9.1884, MR
ES 1896-1901 Sel.

Vater: Salomon, Uhrmacher und Juwelier, Wettergasse 26, geb. 8.7.1843, gest. 15.12.1887. Mutter: Rosa geb. Haas 12.9.1844 Freudenstadt, gest. 2.5.1914. Wohnung: Barfüßertor 12. Schwester: Johanna verh. Jacobs (72). Brüder: Julius, Prof. für Anglistik; Siegmund, Uhrmacher, geb. MR 19.8.1873, verh. mit Frieda Lehmeier, geb. *.10.1886 Basel, wandert 23.11.1939 nach Basel aus, wo er schon 1940 stirbt. Seine Söhne, Selmas Neffen, Robert, geb. MR 12.9.1914, und Paul, auch Uhrmacher, geb. MR 11.8.1909, werden im Nov. 1938 ins KZ Buchenwald gebracht, dürfen nicht mit den Eltern in die Schweiz einwandern, werden aus dem KZ freigekauft, wandern nach England aus (Robert April 1939, Paul 14.8.39 London), dann in die USA, wo Robert im Okt. 1991 starb. Selma heiratet den Architekten Otto Dillmann aus München, überlebt. (s. Genealogie) Über ihre Mutter Frieda Lehmeier sind Robert und Paul Freund Vettern der Schriftstellerin Carmen Kahn-Wallerstein (Angaben Robert Freund).

41.
 
42.
 
43.
Fürst, Bertha
 
Fürst, Clothilde
 
Fürst, Jenni
geb. 2.4.1866, Frankenberg
ES 1878
geb. 2.11.1867, Friedberg
ES 1878
geb. 1.9.1871, MR
ES 1879-86

Vater: Frucht- und Mehlhändler zu MR, Heinemann/Hermann Fürst, geb. 9.2.1835, gest. 9.2.1913 (Friedhof MR). Mutter: Johanna geb. Lichtenstein, 9.2.1846, gest. 11.6.1902. Brüder: Julius, geb. 16.2.1873, verh. mit Martha Gumpertz, Sally, Berthold (44). Nach Auskunft von Heinz Fürst (44) kommen die Familien von Julius, Sally, Clothilde und Jenni Fürst im KZ um. Julius und Martha Fürst werden nach Theresienstadt und im Okt. 1944 nach Auschwitz gebracht.

44. Fürst, Hilde geb. 16.9.1918, MR
ES 1929-35

Vater: Berthold (41-43), Kfm., geb. MR 7.11.1881. Mutter: Helene. Bruder: Heinz, 31.3.1914, Abi MLS. Wohnung: Biegenstraße 29, Schokoladengroßhandlung. Heinz Fürst flüchtet 1933 nach Holland und wandert nach Brasilien aus, wo er heute noch lebt. Am 7.12.1935 folgt ihm die Familie nach Sao Paulo/Bras. Hilde Fürst war mit Judith Bachrach in einer Klasse.

45.
 
46.
 
47.
 
Goldberg, Dora
 
Goldberg, Martha
 
Goldberg, Toni
 
geb. 15.9.1894, MR
ES 1901-10
geb. 19.10.1895, MR
ES 1902
geb. 11.12.1896, MR
ES 1903-13

Vater: Karl Jacob G., Rechtsanwalt und Justizrat, geb. 27.12.1856 Berlin, gest. 23.10.1920 MR. Kasernenstraße 8. Dora Goldberg war in einer Klasse mit Estella Meyer, Helene Rade, Charlotte Troeltsch, Marieluise Flothmann, später verh. Hensel, eine Schwägerin Charlotte Bergengruens (s. Festschrift der ES 1979, Öffnet internen Link im aktuellen Fenster Erinnerungen Charlotte Bergengruens), geht 1915 nach Berlin (?), heiratet und geht 1935 nach Jerusalem (?). Martha war in einer Klasse mit Charlotte Hensel-Bergengruen, geht "ohne Abmeldung wann/wohin unbekannt - festgestellt 1920". Toni 1915 Berlin (?). Offensichtlich ein Bruder oder ein Vetter, Adolf Goldberg, geb. 21.9.1898 MR, stirbt 1942 im KZ Buchenwald.

48. Goldschmidt, Betty geb. 11.2.1901, MR
ES 1907

Vater: Elias, Kfm., MR 4.4.1869. Geht nach Schließung des Schuhgeschäfts, Wettergasse 25, nach Ffm. zu Sohn Karl. Betty heiratet 1925 Leonhard Homburger aus Schweinfurth.

49. Goldschmidt, Emilie/Emmy geb. 25.11.1886, MR
ES 1897-1903 I

Vater: Jacob, Restaurateur?, Kfm.?, Wehrdaer Weg 2. Mutter: Goldine Kaiser, Schwester von Feist Kaiser (79-82), Tochter von Baruch Kaiser, geb. Mardorf 1807, gest. MR, 15.12.1876.

50. Goldschmidt, Hanna geb. 4.11.1919, MR
ES 1930-34

Vater: Julius, Kfm., geb. 20.8.1882 Wolfenbüttel. Mutter: Bertha, geb. Baum, 6.7.1889 in Neukirchen (Schwester der drei Baum-Schwestern, 10-12). Wohnung: Biegenstraße 23, (Kohlenhandlung), 1938 Heusingerstraße 1.
Hanna geht 1937 nach Montevideo und folgt sicher ihrem Bruder: Martin Joseph, geb. MR 27.10.1912, MLS 1922-31 Abi, der am 22.7.1936 nach Montevideo/Uruguay auswanderte. Hanna Goldschmidt lebt heute in San Franzisko.
Julius und Bertha werden deportiert, am 9.12.1941 "abgeschoben".

51. Goldwein, Paula geb. 7.4.1903, Meinbressen
ES 1916-21 I

Vater: I. Goldwein, Metzger in Meinbressen. Paula "wohnt bei Bergenstein" - Selma Bergenstein geb. Goldwein (16) stammte aus Meinbressen.

52. Grünbaum, Cäcilie geb. 26.4.1895, Kassel
ES 1901

Vater: Max, Fabrikant in Kassel, geb. 12.3.1862 in Rotenburg, gest. 1923. Mutter: Thekla geb. Blumenfeld (23), wird über Theresienstadt nach Auschwitz dep. Bruder: Franz Moritz, 9.4.1899, zeitweilig in MR: MLS 1915/16 ("in Kassel wg. Störung Siegesfeier verwiesen"). Cäcilie Grünbaum wohnte kurzfristig bei ihrer Großtante Thekla Erlanger in MR, wie auch der unbotmäßige Bruder (33).

53. Hahn, Lina geb. 31.7.1867, Rauisch-Holzhausen
ES 1878-83

Vater: verstorben, Lehrer in Rauisch-Holzhausen.

54. Haas, Alice geb. 30.7.1909, MR
ES 1918

Vater: Karl, Bankier, Bruder von Sally Haas (56) und Rosa Haas (57). Haspelstraße 25. Schwester: Marianne, geb. 15.3.1919. Alice geht 1932 nach London.

55.
 
56.
 
Haas, Else
 
Haas, Martha
 
geb. 15.5.1900, MR
ES 1906-16
geb. 20.8.1904, MR
ES 1914-21 I

Vater: Sally Haas, Kfm., geb. 27.1.1868. Mutter: Therese geb. Rosenbaum, geb. 14.5.1878. Wohnung: Deutschhausstraße 19. Else heiratet 1922 Siegfried Zollfrei und geht nach Buenos Aires. Sally und Therese Haas wandern 1939 nach Argentinien aus, nachdem Sally aus der "Schutzhaft" entlassen worden war. Else und Martha Kusinen von Alice. Martha heiratet 1929 Emil Strupp aus Treysa. (Strupp - alte Familie aus Treysa. Emil/Emanuel geb. 11.2.1895. Eltern: Hermann und Bertha geb. Reis). Martha wird mit Mann und Tochter Inge, geb. 18.8.1931, nach Auschwitz deportiert.
GB: Bertha Strupp geb. Reis, geb. 30.12.1868, stirbt am 29.8.1941 im Lager Gurs in Frankreich.

57. Haas, Rosa geb. 16.6.1871, MR
ES 1879-86

Vater: Bernhard Haas, Kfm., geb. MR 8.2.1841, gest. 15.2.1907 (Friedhof MR), Mutter: Elise Seligmann aus Köln-Deutz, gest. 31.3.1899, 57 J. Rosa ist die Schwester von Sally Haas und Karl Haas, damit Tante von Alice, Else und Martha (54, 55, 56). Rosa heiratet Hugo Eichelberg, ist die Mutter Therese Eichelbergs (31), früh verwitwet und führt ein Teegeschäft (vorher Mädchenpensionat) Friedrichstraße 7. Nach Auskunft ihres Enkels Hugo Eichelberg, heute Cincinnati (Sohn von Heinrich Simon Eichelberg, 31), zog Rosa Haas-Eichelberg vor 1940 nach Hamburg, wo sie am 30. Dez.1941 starb und auf dem Friedhof in Ohlsdorf beigesetzt wurde. (GB vermerkt irrtümlich Freitod)

58. Haas, Sophie geb. 20.12.1912, Kirchhain
ES 1927/28

Vater: Jakob Haas, Viehhändler/Kirchhain, geb. 30.7.1880, Mardorf. (Haas ist eine alte Mardorfer Familie. Der Großvater Adolf, geb. 5.4.1845, gest. 13.3.1927, liegt in Kirchhain begraben, wie auch der Bruder Samuel, geb. Mardorf 5.6.1878, gest. 26.9.1954, der in Holland überlebte.) Mutter: Lina geb. Adler, geb. 10.2.1885. Bruder: Max, geb. 13.1.1914, Abi MLS 1934, wandert Dez. 1938 nach USA aus, wo er heute noch lebt. Sophie geht im März 1934 nach Brüssel (Lina besucht Sophie dort, "Reise nach Brüssel" im Aug. 1937), später in die USA, wo sie heute noch lebt. Jakob Haas wird mit anderen Kirchhainer Juden am 10.11.1938 verhaftet. Am 26.4.1941 wieder festgenommen, "wg. Verbindung mit deutschen Volksgenossen", zuerst ins Amtsgefängnis nach MR, am 28.4.1941 ins Lager Breitenau gebracht. Lina bittet um Freilassung, weil Sohn Max Schiffskarten für USA schickt. Am 8.12.1941 werden Jakob und Lina Haas deportiert.

59.
 
60.
 
Heß, Bertha
 
Heß, Henriette
 
geb. 10.7.1881, Wehrda
ES 1893-1896 Sel.
geb. 27.12.1885, Cölbe
ES 1896-1900

Vater: Juda Heß, Handelsmann in Cölbe, geb. 12.4.1838 in Oberasphe (Sohn des Salomon Heß und der Berta Oppenheimer), gest. 3.3.1913. Mutter: Goldine Stern aus Wehrda, geb. 7.6.1856, Schwester von Ascher Stern (133). Weitere Schwester: Paula, verh. mit David Buchheim, geb. Cölbe 15.11.1892, wandert mit Familie nach Palästina aus (25). Bertha heiratet Heinrich Assenheim, Prokurist in Ffm., lebt dort noch 1939. Henriette verheiratete Maas, Ffm., lebt dort noch 1939. 

61. Heß, Gerda geb. 19.2.1901, Wehrda
ES 1911-1917

Vater: Levy, Handelsmann in Wehrda, geb. Oberasphe (Sohn von Moses Heß und Henriette Herz) 4.7.1873. Mutter: Bertha geb. Stern 15.10.1870. Brüder: Adolf geb. 14.1.1906, am 28.7.1938 nach Baltimore abgemeldet, Ernst, 6.2.1910 (beide MLS). Gerda Heß verh. Stern (OZ, Verlobung mit David Stern aus Ffm. Weihn. 23) wandert in die USA aus, wo sie im Okt. 1991 gest. ist. Levy Heß wohnt noch 1941 in Ffm, dep., in Minsk verschollen. Seine Geschwister David Heß, 1.4.1869, und Bertha, 19.6.1876, verh. mit Hermann Nathan aus Lohra, 25.3.1876, werden im Sept. 42 nach Theresienstadt gebracht, wo Bertha im März 43 stirbt, David kommt noch im Sept. 42 nach Maly Trostinec und Hermann Nathan 44 nach Auschwitz. (s. Testamente)

62. Heuser, Anna geb. 23.10.1904/07?, Niederwalgern
ES 1915-17

Vater: Heinrich, Bahnhofswirt in Niederwalgern. "Wohnt bei Franz Heuser, Lehrer, Rotenberg 56."

63. Hirsch, Recha geb. 21.1.1895, Kirtorf
ES 1906-10

Vater: Sigmund, Kfm., MR. Recha Hirsch war in einer Klasse mit den Strauß-Zwillingen Else und Thekla (149/150).

64.
 
65.
 
66.
 
 
Höxter, Antonia
 
Höxter, Betty
 
Höxter, Gerda
 
 
geb. 14.10.1885
ES 1897-1900
geb. 3.8.1889
ES 1900-05
geb. 7.6.1895
ES 1906-11
alle in Gemünden

Vater: Simon, Kfm., MR, geb. 26.8.1852 Gemünden, gest. MR 16.6.1932. Mutter: Caroline Blumenfeld, geb. 16.7.1857, wird im Sept. 1942 nach Theresienstadt deportiert, wo sie am 17.9. stirbt. Die Familie wohnt Neue Kasseler straße13. Simon gehört zum Vorstand der jüdischen Gemeinde. Ein Sohn Siegmund, geb. 5.12.1883, fällt 8.5.1915. Antonia (Toni) ist verh. mit Sally Goldschmidt, geb. 4.7.1881 in Hersfeld, wandert 13.4.1940 nach Connecticut/USA aus. Sally Goldschmidt gehörte mit zum Vorstand der jüd. Gemeinde, als diese 1939 in einen Verein umgewandelt wurde. Gerda, die zusammen mit Charlotte Hensel-Bergengruen eingeschult wird, ist verheiratet mit Adolf Goldschmidt in Düsseldorf, später Elberfeld. Betty heiratet Dr. Max Oppenheimer aus Hadamar, hat zwei Kinder: Lotte geb.29.1.1917 in Posen, Franz geb. 17.2.1920 in Friedberg, und wandert am 15.11.1934 nach Haifa/Palästina aus.

67. Isenberg, Dina geb. 12.1.1898, Buchenau
ES 1908-12

Vater: Juda, Manufakturwarenhändler. Mutter: Pauline geb. Löwenstein. Bruder: Sali, 14.7.1892, MLS 1902-08. Dina heiratet den Fabrikanten Heinrich Dreyfus aus Karlsruhe, hat zwei Töchter. Familie wandert nach Holland aus, von dort deportiert. Dinas ältere Schwester Jettchen, geb.1.1.1889, wandert aus in die USA, die Eltern folgten. Sali wandert aus nach Australien. Familie Isenberg war in Buchenau eine weitverzeigte Familie (Auskunft Frau Renate Westmeier, Buchenau).

68. Isenberg, Helene, gen. Leni geb. 6.9.1891, MR
ES 1903-06

Vater: Gustav, Metzgermeister, Steinweg 12, geb. Caldern 1861, gest. MR 1915. Mutter: Jeanette geb. Sondheimer, geb. Beerfelden 1861, gest. MR 1914. Helene verlobt sich und heiratet 1920 Willy Zunz aus Mönchengladbach (OZ vom 24.7.20). Familie Isenberg stammt aus Caldern. Die Brüder Markus (1821) und Joseph (1831) lassen sich 1874 in MR nieder, mit allen Kindern von Markus: den Brüdern Tobias (1847) und Gustav und den Schwestern Henriette und Johanna, die ledig bleiben und eine Schneiderei betreiben. (s. Testamente)

69. Isenberg, Lieselotte geb. 22.12.1906, MR
ES 1916-24 UII

Vater: Gerson, Gastwirt Steinweg 12, geb. 6.4.1880, Sohn von Tobias I., Neffe von Gustav I. Stirbt im KZ Buchenwald am 14.11.1938. Die Mutter: Selma, geb. Hirsch, geb. 25.2.1881 in Eppingen/Heidelberg, wird am 6.9.1942 nach Theresienstadt deportiert, kommt 1944 in Auschwitz um. Eine Ausreise nach Frankreich (Ausreiseantrag 1938) scheiterte. Bruder: Hans, 4.3.1910, MLS 1919-23. Lieselotte wählt am 10.7.1942 in Hamburg den Freitod. (GB)

70. Isenberg, Margot geb. 5.1.1921, Elmshausen/Kr. Biedenkopf
ES 1932-35

Vater: Moritz, Kfm., Buchenau, geb. 5.12.1890 (Vetter von Dina, 67). Mutter: Flora geb. Katten, geb. 3.3.1891 Josbach. Bruder: Erich 18.1.1922. Margot geht 35 von der Schule ab, "betätigt sich im elterlichen Haushalt". Familie wohnt 1939 in der Haspelstraße bei Familie Walldorf (168), mit der sie verwandt sind, geht am 10.12.1940 nach Ffm. Margot geht nach Berlin, wird nach Auschwitz deportiert, die Eltern nach Lodz oder Lublin, wie auch das Ehepaar Walldorf.

71. Jacob, Bella gen.Else geb. 20.11.1908, Kirchhain
ES 1923-25 UII

Vater: Hermann, Kfm., geb. Kirchhain 21.8.1879, gest.10.1.1932, Mutter: Riekchen Hattenbach, geb. 17.9.1884, gest. 5.8.1935 (Gräber auf dem Friedhof Kirchhain). Der Bruder und Teilhaber des Vaters, Leopold, geb. 2.3.1884, verh.mit Gida geb. Stein, wandert 1939 nach USA aus. Der Bruder Julius, geb. 16.2.1912 Kirchhain (MLS; schon der Bruder von Hermann und Leopold, David Jacob, geb. 28.6.1887 Rüddingshausen, besuchte die MLS 1902-05), arbeitet nach dem Tode des Vaters mit dem Onkel im Geschäft (Getreidehandlung Gerson Jacob 1845-1919, Grab Friedhof Kirchhain), wandert am 25.8.1937 nach Pittsburg/USA aus. Else erhält das Abschlußzeugnis des Lyzeums; verh. Spier, wandert in die USA aus, 1991 in Pittsburg gest.

72. Jacobs, Sophie geb. 24.9.1918, MR
ES 1928-34 UII

Vater: David, Bankprokurist, geb. 14.11.1877, gest. 1.12.30. Mutter: Johanna geb. Freund, geb. MR 23.4.1881, Schwester Selmas (40), führt nach dem Tod des Vaters wegen der ab 1933 verkürzten Rente ein Lebensmittelgeschäft in der Frankfurter straße42, wo die Familie auch wohnte. Sophie "will kunstgewerbliche Lehre antreten", wird Verkäuferin (Lehre im Geschäftshaus Blumenfeld-Katz, Wettergasse), wandert am 26.6.1939 nach Bristol/England aus, wohin ihr die Mutter und der Bruder Albert, geb. 15.7.1912, am 19.8.1939 folgen. Albert Jacobs studierte Zahnmedizin und machte sein Doktorexamen in Marburg, lernte aber ab 1936 noch Zahntechniker, um im Falle einer Auswanderung bessere Berufschancen zu haben (sog. "Umschichten"). Wird Nov.1938 zusammen mit den Vettern Paul und Robert Freund ins KZ Buchenwald gebracht. Starb 1963 in England. Sophie Jacobs lebt heute in Brüssel. (Auskunft Frau Sophie Jacobs)

73.
 
74.
 
Jacobsohn, Eleonore
 
Jacobsohn, Hannah
 
geb. 21.6.1908,  München
ES 1914-24 I
geb. 17.12.1910, MR
ES 1917-30, Abi

Vater: Hermann, Univ.-Prof., MR, geb. 30.8.1879 in Lüneburg. Weißenburgstraße 24. Wird 1933 entlassen und begeht Selbstmord. Schwestern leben in MR.  
Beide Schwestern werden bei der Anmeldung im Schülerinnenverzeichnis als "isr." geführt. Die korrekte Bezeichnung wäre "Diss." (Dissidenten) gewesen, nicht zur jüdischen Gemeinde gehörig. Bruder: Adolf, 17.11.1918 (MLS)

75. Jeidels, Helene geb. 14.9.1892, Ffm.
ES 1906-09 I

Mutter: Anna Oestreich geb. Jeidels.
In Holland überlebt, 1949 nach Brasilien ausgewandert.

76. Jonas, Bettina geb. 14.3.1901, Gladenbach
ES 1911-13

Vater: Moses, Metzgermeister, MR, Wehrdaer Weg 2, geb. Gladenbach 1864, gest. MR 1931. Mutter: Lina Kallmann, geb. 9.7.1866, gest.16.9.1927. Bettina verheiratet sich 1924 mit Siegfried Bermann, Limburg.

77. Kahan, Rahel geb. 1885, Brestlitowsk
ES 1902/03 Sel.

Vater: Chaim, Kfm.

78. Kaiser, Anna geb. 28.2.1904, Vöhl
ES 1917-20 Ia

Vater: Ferdinand, Kfm., Vöhl. Brüder: Leopold, 4.9.1899, Erich, 10.6.1906, besuchen beide MLS 1909-17 (danach "ins Heer"), 1917-22.

79.
 
80.
 
81.
 
82.
 
Kaiser, Minna
 
Kaiser, Franziska
 
Kaiser, Emilie
 
 Kaiser, Helene
 
geb. 9. 6.1864, Mardorf
ES 1878
geb. 30.12.1867, Mardorf
ES 1878
geb. 7.11.1871, MR
ES 1882
geb. 1.11.1874 MR
ES 1884

Vater: Feist Kaiser, Kfm., MR, Bürstenhandel. Mutter: Karoline geb. Cahn. Familie seit Generationen in Mardorf ansässig. Großvater: Baruch Kaiser, Borstenverleger, stirbt 15.12.1876, 69 Jahre. Schwester von Feist: Goldine verh. Goldschmidt (48)

83. Kapp, Blanka geb. 10.2.1898, Mainz
ES 1913/14 I

Vater: Adolf, verst. Mainz. Mutter: Sara, geb. Bachrach aus Neustadt 5.5.1875, Schwester von Samuel, Adolf und Ludwig Bachrach (3-6), kommt 1912 verw. nach Marburg. Mutter und Tochter wohnen gemeinsam bis 1922 Biegenstraße 44. Blanka verh. Apfel, Regensburg, wandert nach Amerika aus. Sara Kapp, 1939 in Regensburg noch gemeldet, wird deportiert.

84. Katz, Margarete geb. 14.9.1906, MR
ES 1916-23 I

Vater: Moritz, geb. 28.10.1870, Kfm., Wettergasse 4. Mutter: Antonie geb. Blumenfeld (20). Der Bruder Arthur, geb. 6.9.1902, Abi MLS 1920, Jurist, wandert am 16.8.1937 nach Palästina aus. Margarete, noch bis 1938 in MR, heiratet am 26.1.1938 Max Jacobsohn, zieht mit ihm am 31.1. nach Halberstadt und wandert ebenfalls nach Palästina aus, wo sie heute noch lebt. Moritz Katz zieht nach dem Tod seiner Frau 1939 in die Heusingerstraße ("Judenhaus"), dann in die Untergasse (ebenfalls Ghettohaus) und wird am 5.9.1942 nach Theresienstadt deportiert, wo er 1944 stirbt.

85. Kaufmann, Anna geb. 12.1.1901, Paris
ES 1916/17 I

Vater: Moritz, Bankbeamter MR, geb. 12.7.1855, gest. 10.1.1935. Moritz Kaufmann ist der Schwager von Baruch Strauß (158). Mutter: Hedwig Blumenfeld, geb. 8.7.1877, gest. 5.9.1934 (21), Steinweg 30. Anna und Margarete Katz Kusinen. Bruder Albert, geb. Paris 15.5.1902, Abi 1920 MLS, wandert nach Buenos Aires aus. Anna heiratet Julius Leyser (86), hat zwei Söhne, Ernst und Hans, 1930 und 1932. Familie wohnt Neustadt 27. Die Familie zieht am 14.9.1935 zusammen mit dem Vater Marcus Leyser (der mit Julius gemeinsam das Geschäft betrieben hatte) nach Köln-Braunfeld und wandert dann nach Holland aus, wo Anna noch 1941 in Amsterdam, Botticellistraße 4 wohnt (Briefwechsel mit den Testamentsbehörden vom 3.3.1941 unter dem Namen Rahel Gertrud Anna Leyser). 1943 wird die Familie ins KZ Sobibor deportiert.

86. Leyser, Sophie geb. 5.9.1889, MR
ES 1896-1905 Sel.

Vater: Marcus, Kfm., geb. Anhalt 14.9.1859. Mutter: Lina geb. Baum 24.11.1861, stirbt 28.4.1925. Wohnung: Neustadt 27. Drei Brüder: Ernst, geb. 11.8.1891, gef.2.11.1918, Max, geb. 2.6.1898, deportiert, und Julius, verh. mit Anna Kaufmann (85).

87. Löwenstein, Friederike geb. 15.8.1883, Holzhausen
ES 1896-1900 I

Vater: David, Metzger in Holzhausen. "Will sich in Kassel zur Lehrerin ausbilden".

88. Lomnitz, Else geb. 20.9.1906, Kirchhain
ES 1921-23 I

Vater: Siegmund, Kfm. Kirchhain, geb. 6.11.1874 in Bischhausen. Mutter: Bertha Stern, geb. 20.2.1880 in Kirchhain. Beide melden sich am 22.5.1939 nach Bad Nauheim ab, wo Else mit Alex Straus verheiratet ist. Alex Straus stirbt durch Selbstmord. Else wandert am 12.8.1940 nach New York aus. Die Eltern ziehen nach Ffm. Im selben Haus wie Familie Lomnitz, Briesselstraße 273, wohnten auch Sally und Minna Ziegelstein (178). Siegmund und Bertha Lomnitz werden deportiert, vermutlich Lodz.

89.

90.
Lucas, Dina/Goldine

Lucas, Fanny/Frieda
geb. 11.11.1866, MR
ES 1878
geb. 11. 9.1869, MR
ES 1878-83

Vater: Bernhard Lucas, Uhrmacher und Goldarbeiter, geb. MR 1.6.1836, gest. 1.6.1906 (sein Bruder und Mitarbeiter Moritz stirbt 1866, ein weiterer Bruder Wilhelm stirbt 16.4.1903), Mutter: Brendel oder Bertha, geb. Falkenstein, geb. 1843, gest. 1897. Bruder: Dr. Leopold Lucas, geb. 18.9.1872, gest. Theresienstadt 13.9.1943. Frieda stirbt 22.12.1936. Dina, Zahntechnikerin, Bahnhofstraße 10., wird am 6.9.42, fast 76-jährig, nach Theresienstadt deportiert. GB: Minsk verschollen. Familie Lucas ist eine alteingesessene Marburger Familie. (s. Genealogie und Testamente) 

91. Mansbach, Ina geb. 29.12.1907
ES 1923/24 UII

Vater: I.M., Lehrer, Laasphe.

92. Meyer, Estella geb. 28.4.1895, MR
ES 1901-11 I

Vater: Samuel, geb. 18.5.1863, Kfm. Mutter: Bertha geb. Eichelberg 16.4.1858 (29). Samuel Meyer führt als Schwiegersohn Menke Eichelbergs das Geschäft in der Barfüßerstraße weiter. Estella heiratet 1920 Alfred Rosenberg, sie haben die Kinder Ruth (110) geb. 1922, Walter geb. 1929. Familie wohnt Barfüßerstraße 50, Geschäft Meyer und Rosenberg (heute Sparkasse).
Samuel und seine zweite Frau Elise Meyer gehen am 15.2.1939 nach Rheydt ins jüdische Altersheim, von wo aus sie Fam. Rosenberg im April 1941 besuchen. Sie beide, wie die Familie Estellas, werden deportiert.

93. Michel, Irma geb. 17.4.1912, Gladenbach
ES 1924-26

Vater: Julius geb. 1882, Milchhändler in Gladenbach. Mutter: Sophie geb. 1887. Irma wandert 1938 nach Paraguay aus.

94. Moses, Nanny geb. 26.2.1871, Betziesdorf
ES 1883

Vater: Isaak Moses, Handelsmann. Mutter: Hannchen geb. Bauer, geb. 11.4.1844, gest.19.1.1912 (Friedhof Kirchhain). Familie Moses seit Generationen in Betziesdorf ansässig: die Mutter von Isaak Moses, Sette, führt 1852, verw. mit 5 Kindern, ein Geschäft. Nanny, verh. Katten in Bamberg, danach in Regensburg, von dort nach Theresienstadt dep., stirbt am 5.3.1943.

95. Moses, Erna oder Emma geb. 2.6.1878, Kirchhain
ES 1890

Vater: Handelsmann. Erna, verheiratete Katz in Kassel, wandert "im Mai 1940 über Triest nach Süd-Afrika aus". Schwester?: Bertha, 12.6.1880 Kirchhain, verh. mit Moritz Plaut, Kassel, deportiert Riga (105/106).

96. Müller, Gerda geb. 23.12.1893, Northeim
ES 1902-09 Sel.

Vater: Karl Müller, Northeim, stirbt vor 1902, deshalb Rückkehr der Mutter: Dina geb. Wertheim (173) nach MR, wohnen Steinweg. Gerda Müller heiratet den Rechtsanwalt Dr. Alfred May, lebt lange in Ffm. und wandert mit ihm, der Mutter und den Söhnen Franz und Rudolf 1937 nach Chile aus, wo sie in Santiago am 15.11.1976 stirbt. Rodolfo May lebt noch heute in Santiago de Chile.
Gerda war in einer Klasse mit Therese (Tessy) Eichelberg.

97. Nagel, Sara geb. 9.9.1884, Krimmitschuk(?) Russland
ES 1897/98

Vater: Immanuel, Kfm.

98. Narewczewitsch, Johanna geb. 24.8.1902, Witzenhausen
ES 1913

Vater: Max, geb. 19.10.1870, Kfm. in MR. Johanna heiratet Louis Magnus, geboren in Rotterdam, und lebt in Kassel. Am 25.3.1937 wandert sie nach Amsterdam aus, von wo aus sie zusammen mit ihrem Mann 1943 nach Auschwitz gebracht wird.

99. Nathan, Gretel Caroline geb. 5.3.1920, Lohra
ES 1930 bis 31.12.1932, dann: "besucht Schule in Gladenbach"

Vater: Hermann, geb. MR 28.7./8.1884, Kfm., Lohra. Mutter: Paula Wallenstein, 13.10.1886. Bruder: Hermann. Gretel 1937/38 Ffm. Familie wird deportiert, in Minsk verschollen

100. Oppenheim, Agathe geb. 28.6.1884, MR
ES 1895 bis Sel.

Vater: Gustav geb. 28.4.1852, gest. 14.11.1913, Kfm. Mutter: Johanna geb. Cahn, geb. 2.4.1856, lebt Bahnhofstraße 30. Agathe war Bankbeamtin, hat zeitweilig in Wiesbaden gearbeitet, ist 1922 bei der Mutter gemeldet. Agathe wird am 31.5.1942 deportiert, die Mutter im September 1942 nach Theresienstadt, wo sie am 18.9. stirbt.

101. Oppenheim, Martha geb. 30.6.1890, MR
ES 1901-1906 Sel.

Vater: Gustav. Schwester von Agathe?
Martha kommt am 6.9.1942 nach Theresienstadt und kommt am 23.1.1943 in Auschwitz um.

102. Oppenheim, Emmy geb. 21.7.1881, MR
ES 1893-1897 Sel.

Vater: Kfm.
Emmy verlobt sich 1920 (OZ), heiratet Isidor Brandt, geb. 4.7.1869, wohnt in Berlin und kommt in Auschwitz um, Isidor Brandt stirbt am 27.9.42 in Theresienstadt (GB).

103. Oppenheim, Johanna geb. 17.9.1885, MR
ES 1896-1900 I

Vater: Hermann, geb. 20.11.1855, gest.25.12.1899, Kfm. (Sohn von Simon Oppenheim und Hannchen Kaiser) Mutter: Berta geb. Sander, geb. 28.12.1860. Bruder: Julius, 31.8.1887. Wohnung: Barfüßerstraße 50, dann Kasernenstraße 16, wo Mutter und Tochter ein kleines Mädchenpensionat haben. Johanna zieht mit der Mutter am 31.8.1937 nach Koblenz, wo Berta Oppenheim im Dez.1937 gestorben sein soll (D 1719).

104. Pfifferling, Margot geb. 5.8.1913, Aurich
ES 1923-30 UII

Vater: Salomo, Lehrer, geb. Datterode 8.2.1882. Mutter: Selma geb. Rehbock 27.5.1881. Familie wohnt Heusingerstraße 3, zusammen mit der Mutter Sophie Rehbock, geb. Stiebel 17.1.1855, gest.13.6.1937. Salomo Pfifferling ist seit 1919 der Lehrer der israelitischen Volksschule in MR. Margot lernt Dentistin, heiratet Weil und geht 1933 nach Frankreich, wo sie heute noch lebt. Die Eltern werden am 5. Dez.1941 nach Riga deportiert, wie auch eine Schwester Salomos?, Sara Pfifferling, geb. Datterode 30.6.1888.

105.
 
106.
 
Plaut, Brunhilde
 
Plaut, Senta
 
geb. 27.4.1909, Kirchhain
ES 1924
geb. 27.2.1912, Kirchhain
ES 1929/30

Vater: Moritz, Kfm., Kirchhain, 13.11.1877?, umgekommen Dachau 19.8.1941?, Mutter?: Bertha Moses, 12.6.1880 Kirchhain, versch. Riga (GB). Brunhilde und Senta wandern in die USA aus, wo Brunhilde heute noch lebt.

107. Rapp, Sophie geb. 29.4.1903, Merzhausen
ES 1918-20 I

Vater: Marcus, Lehrer, geb. 18.12.1870 in Eiterfeld. 21 Jahre Lehrer in Merzhausen, dann 22 Jahre in Kirchhain. Gest. Kirchhain (Friedhof) 23.12.1936. Mutter: Frieda geb. Bachenheimer, geb. 5.11.1876 in Kirchhain. Tochter? von Victor Bachenheimer, Lehrer in Kirchhain (vgl. Arnsberg). Die Kennkarte der Mutter trägt den Vermerk "ausgewandert", so dass vielleicht auf eine gemeinsame Auswanderung mit Sophie geschlossen werden kann oder auf eine Nachwanderung. Bruder: Leo, 30.10.1906, MLS.

108. Reis, Marion Berta geb. 12.4.1925, MR
ES 1935-38

Vater: Dr. jur. Hermann Reis, geb. 16.9.1896 in Allendorf/Eder, Israelit. Schülerheim/MLS 1908-15, Abi/ Heer, Rechtsanwalt, gemeinsame Kanzlei mit Willi Wertheim. (Auch der Bruder von Hermann Reis, Julius, 7.8.1900, besucht die MLS 1911-18/Abi und studiert Jura). Mutter: Selma geb. Levi, geb. 5.11.1902 in Treysa. Hermann Reis gehört 1939 zum Vorstand der in einen Verein umgewandelten jüd. Gemeinde, ist ihr Vorsitzender.
Die Familie wohnte Friedrichstraße 2, zieht 4.12.1940 in die Heusingerstraße 3, muss dann ins "Judenhaus" Schwanallee 15 umziehen (1942). 1939 werden Hermann Reis und Alfred Rosenberg Gemeindeälteste. Dr. Reis ist bis zum Schluss mit der Wahrnehmung jüdischer Rechtsangelegenheiten beauftragt: am 6.9.1942 werden alle drei, zusammen mit Selmas Eltern, nach Theresienstadt deportiert, Hermann Reis kommt am 29.4.1944 nach Auschwitz, Marion und ihre Mutter Selma am 12.10.44. Die Schwester von Selma Reis, Hertha Levi, geb. Treysa 2.6.1905, wird am 1.6.42 deportiert. Der Vater Selmas, Levi Levi, geb. 5.5.1869, stirbt in Theresienstadt 8.12.1943.
Die Dissertation von Hermann Reis, MR 1922 bei Prof. André, "Der Inhalt des Erbbaurechts", kann in der UB MR eingesehen werden.
Der Roman "German and Jew" des Amerikaners John Dickinson ("German and Jew", The Life and death of Sigmund Stein, Quadrangle Book, Chicago 1967) behandelt in verschlüsselter Form das Leben von Hermann Reis und Willi Wertheim (174), die gemeinsam eine Rechtsanwaltspraxis betrieben, und versteht Hermann Reis und Marburg als exemplarische Erscheinungsform eines deutschen Juden und einer deutschen Stadt im Nationalsozialismus.

109. Rosenbaum, Clara geb. 27.4.1884, Grebenstein
ES 1896-99

Vater: Salomon, Kfm., geb. 18.3.1853, Bruder von Julie Rosenbaum, verh. Eichelberg (29), Mutter: Flora Wertheim, geb. 4.4.1858 (172). Clara wohnt bei Tante und Onkel Hermann Eichelberg. Clara heiratet Baruch Wormser in Kassel und wird im Sept.42 nach Theresienstadt deportiert, wo sie am 19.2.43 stirbt, ihre Mutter Flora am 28.2.

110. Rosenberg, Ruth Beate geb. 2.12.1922, MR
ES 1933-38

Vater: Alfred, Kfm., geb. 10.9.1888 Münster, Geschäft Barfüßerstraße 56 (Meyer und Rosenberg als Nachfolger von Menke Eichelberg). Mutter: Estella Meyer (92). Bruder: Walter, geb. MR 6.12.1929. (Die Marburger Stadtkartei nennt irrtümlich einen weiteren Sohn Benjamin, geb. 11.7.1923 (?) Berlin, der ab 1.10.1937 in Berlin wohnt, Linienstraße 213, als staatenlos verzeichnet ist und überlebt.) Alfred Rosenberg gehört 1939 zum Vorstand der in einen Verein umgewandelten jüd. Gemeinde. Ruth verlässt die ES vor dem 1.Dez.1938 und geht zur Handelsschule, geht 1940 in Ffm. zur Schule, 1941 in Berlin, kehrt im Nov.1941 nach MR zurück. Die Familie wird im Mai 1942 deportiert. Alfred Rosenberg stirbt 1942 im KZ Lublin, Estella, Ruth und Walter an einem unbekannten Ort.

111. Rothensies, Setta geb. 11.10.1884, Zwingenberg
ES 1897-1900

Vater: Moses, Kfm.

112.
 
113.
 
Rothschild, Amalie
 
Rothschild, Paula
 
geb. 1.12.1873, MR
ES 1880
geb. 24.2.1877, MR
ES 1888

Vater: Kfm. Maier Rothschild in MR

114.
 
115.
 
Rothschild, Minna
 
Rothschild, Johanna
 
geb. 12.6.1883, MR
ES 1894-97
geb. 24.6.1888, MR
ES 1899-1903

Vater: Zadok, Kfm., geb. 10.4.1849, gest. n1926. Mutter: Pauline, geb. Nußbaum, geb. Bergen/Ffm. 23.4.1853, gest. MR 1.4.1941. Minna "geht auf die Handelsschule in Ffm.". Die Familie wohnt Bahnhofstraße 24, wo die Schwestern später auch ein Geschäft haben. Johanna wandert über Hamburg 1937 in die USA aus. Minna bleibt bei der Mutter und stellt nach deren Tod im Nov. 1941 einen Ausreiseantrag nach Cuba. Im Dez. 1941 wird sie ins Ghetto Riga deportiert. Es ist unklar, warum sie nicht auswanderte, obwohl sie schon im Sept. 1939 einen Auswanderungsantrag für die Mutter und sich gestellt hatte, vielleicht erhielt die Mutter keine Einwanderungserlaubnis mehr.

116. Rot(h)schild, Else geb. 15.2.1904, Kirchhain
ES 1917-20

Vater: Juda, Kfm. Kirchhain, geb. 18.7.1865 in Erksdorf. Mutter: Frieda, geb. Schaumberg, geb. 31.8.1870 in Weilburg. Bruder: Felix, 23.8.1896, MLS 1910-13. Die Familie wohnt Hofackerstraße 158. Dieses Haus verkauft Juda Rotschild 1938 an Wilhelm Kiesselbach, um seiner Tochter Else die Emigration in die USA zu ermöglichen. Else hat Kurt Wolf aus Schneidemühl geheiratet (geb. 21.7.1897) und zieht im Febr. 1938 mit Mann und Sohn Gerhard (geb. 18.6.1933) zu den Eltern nach Kirchhain, von wo aus noch im Februar Kurt Wolf nach Baltimore auswandert. Else folgt am 15.4.1939 mit dem Sohn und die Eltern ziehen am 18.4.1939 nach Ffm., sicher ins jüdische Altersheim und damit fast ebenso sicher in den Deportationstod, wenn sie nicht vorher gestorben sind.

117. Rothschild, Erika Suse geb. 28.6.1914, MR
ES 1923-33, Abi

Vater: Jacob, Bankdirektor MR, geb. MR 6.6.1879, gest. 1949 Baltimore. Mutter: Hanna geb. Hamburger, geb. 10.2.1884 Bad Kissingen, gest. 1964 Baltimore. Wohnung: Deutschhausstraße 34. Jacob Rothschild ist von 1928 bis Ende Schuljahr 1933 im Elternbeirat der ES. Der Bruder Walter hält sich in den 30-er Jahren "als Emigrant in Frankreich" auf. Jakob Rothschild wird nach dem 10. November 1938 mit anderen Marburger Juden ins KZ Buchenwald gebracht, wandert mit der Familie 1939 in die USA aus. Erika Rothschild ist 1990 in Baltimore gestorben.

118.
 
119.
 
Schaumberg, Klara
 
Schaumberg, Ilse
 
geb. 9.6.1908, MR
ES 1918-21
geb. 12.9.1909, MR
ES 1918-22

Vater: Siegmund, geb. 1880 Kirchhain, Kfm. in MR, Casseler Straße 14. Klara stirbt am 7.11.1921 (Friedhof MR). Weitere Schwester: Edith. Familie zieht nach 33 nach Frankfurt. Ilse heiratet Zahnarzt Hecht aus Gießen, wandert später in die USA aus, wie auch die jüngste Schwester Edith.

120.
 
121.
 
Schirling, Emma
 
Schirling, Bertha
 
geb. 23.9.1866, MR
ES 1878
geb. 14.5.1869,
ES 1878-84

Vater: Pinchas Schirling, israelitischer Lehrer in MR, gest.1918. Mutter: Friederike geb. Wolff. Bertha lernt Schneiderin und hat ein Geschäft in Marburg.

122. Schlesinger, Eva geb. 31.1.1898, Hamburg
ES 1908/09 wdh. 1910-14 Ia

Vater: Michel, Händler, Hamburg. Wohnt bei Dr. Moses Schlesinger, Leiter des israelit. Schülerheims in MR. Der Sohn Dr. Schlesingers, David Schlesinger, geb. 14.3.1893, 1911 Abi MLS, studierte Rechtswissenschaft, gef. Dr. Schlesinger zieht 1.10.1918 nach Halberstadt.

123. Spangenthal, Beate geb. 22.12.1906, Spangenberg
ES 1917-20

Vater: Kfm., Spangenberg. Beate geht 1920 zum Mädchenlyzeum Coburg.

124. Stein, Regina geb. Grebenau 16.2.1892
ES 1904-07

Vater: Wolf, Kfm.

125. Stern, Bertha geb. 16.11.1866, Kirchhain
ES 1878

Vater: Kfm., Kirchhain. Bertha heiratet Joseph Abt, geb.10.6.1869, sie haben eine Tochter Toni, geb. 15.1.1898, und den behinderten Sohn Ludwig, geb. 21.4.1904. Bertha stirbt 30.6.1926 (Friedhof Kirchhain). Ludwig wird am 5. Sept.1942 nach Theresienstadt deportiert, wo er am 7.8.1943 stirbt. Die Tochter Toni, verh. Rudolph, kommt am 18.8.1943 in Auschwitz um. Joseph überlebt in der Ehe mit einer christlichen Frau und stirbt 20.5.1953 (Friedhof Kirchhain).

126. Stern, Else oder Ilse geb. 28.2.1890, MR
ES 1896-1905 Sel.

Vater: Moses/Moritz, Kfm., geb. 7.9.1856, Bruder von Johanna und Lina (136/137) Bahnhofstraße 25. Mutter: Minna geb. Plaut. Moritz Stern betrieb ein Handelsgeschäft, das nach seinem frühen Tod, Moritz stirbt im chirurgischen Krankenhaus 1901, 44 J., von seinem jüngeren Bruder Alfred übernommen wird (130-132, Stern & Bär). Else geht 1924 nach Ffm., verh. Alexander. Die Mutter wohnt noch in den dreißiger Jahren in der Bahnhofstraße. Else Stern wird deportiert.

127. Stern, Henriette gen. Jettchen geb. 11.8.1882, Wehrda
ES 1893

Vater: Handelsmann. Jettchen heiratet am 6.9.1908 Karl (Zadok) Stern aus Kirchhain, geb. 25.12.1876. Am 10. Nov. 1938 wird Karl Stern mit anderen Kirchhainer Juden nach Buchenwald transportiert, wo er am 20. Nov. stirbt. Auf dem Kirchhainer Friedhof liegt auf dem Grab seines Vaters Hermann, geb. 30.3.1845, gest. 12.2.1920, eine Gedenkplatte. Jettchen ist Mitglied im israelit. Frauenverein. Sie wandert zusammen mit ihrem Schwager Julius Stern und dessen Familie im Mai 1939 über England aus nach USA, wo sie 1965 stirbt.

128. Stern, Ilse geb. 22.10.1912, Kirchhain
ES 1927-30 U I

Vater: Siegmund, Kfm., Kirchhain, geb. 26.1.1878. Verlässt die Schule, "geht ins Ausland 1930". Kaufmänn. Angestellte in Brüssel. Ilse und Sophie Haas (58) sind ein Schuljahrgang, vielleicht hat Ilse Sophie nachgeholt. Brüder: Harry, 12.6.1906, Ludwig, 28.3.1908, beide MLS. Ilse wandert in die USA aus, wo sie heute noch lebt.

129. Stern, Ilse geb. 30.10.1912, Wetter
ES 1924-27

Vater: Albert, Kfm. und Viehhändler, geb. 10.2.1881. Wetter, Fuhrstraße 159. Mutter: Hilde geb. Katz 2.6.1887. Ilse geht am 8.2.1937 mit ihrer Schwester Irmgard nach New York. Auch die Eltern wandern aus. Brüder: Alfred, 25.1.1907, Willi, 13.5.1918, beide MLS. Alfred später wegen "Rassenschande" durch Wetter geführt.

130.
 
131.
 
132.
 
Stern, Irene
 
Stern, Emilie
 
Stern, Gerta
 
geb. 20.1.1892, MR
ES 1900-08 Sel.
geb. 19.2.1893, MR
ES 1906-09
geb. 12.11.1895, MR
ES 1906-12

Vater: Alfred, geb. 22.4.1862 in Wehrda, gest. 2.12.1926, Kfm., Bruder von Moritz Stern (126), dessen Geschäft er übernimmt, und Johanna und Lina Stern (136/37). Mutter: Pauline geb. Siesel, 14.5.1868. Brüder: Ludwig, 16.3.1898, und Moritz, 17.4.1904, beide MLS. Alfred Stern vereinigt sein Geschäft mit Karl Bär, Stern & Bär (8), Neue Casseler Straße 3 3/4. Irene hat ein Putzmachergeschäft und stirbt 26.7.1937. Emilie wird ins KZ Lublin/Maidanek deportiert, für tot erklärt. Gerta hatte Moritz Katz aus Kassel geheiratet (geb. 6.3.1883) und war 1935 nach MR zur Mutter gezogen. Beide werden deportiert, verschollen Riga. Pauline Stern wird nach Theresienstadt gebracht, wo sie am 12.9.42 stirbt. (s. Genealogie)

133. Stern, Irene geb. 13.3.1902, Wehrda
ES 1911

Vater: Ascher, Handelsmann, geb. 8.3.1854, gest.18.6.1936, Vetter von Moritz und Alfred Stern (126, 130) Mutter: Johanna Spier, geb. Leidenhofen 23.7.1858, gest.22.2.1932 (Friedhof MR). Irene heiratet Julius Buxbaum, geb. 15.2.1904, hat eine Tochter Henni, geb. 14.10.1930, und wandert mit ihrer Familie im Oktober 1937 nach Amerika aus. (Kusine von Irene, Emilie und Gerta, 130-32, s. Genealogie)

134.
 
135.
 
Stern, Franziska
 
Stern, thchen
 
geb. 23.6.1889, Ockershausen
ES 1899-1903
geb. 4.4.1891, Ockershausen
ES 1901-1906

Vater: Jonas, Viehhändler, geb. Ockershausen 22.11.1858, Sohn von Manus Stern und Amalie Lucas. Käthe, verh. Süßholz in Kassel, wird am 9.12.1941 nach Riga deportiert. (Franziska und Käthchen Kusinen von Lina, 138) (s. Testamente und Genealogie)

136.
 
137.
 
Stern, Lina (Caroline)
 
Stern, Johanna (Jahnchen)
 
geb. 9. 8.1864, Wehrda
ES 1878
geb. 1.10.1866, Wehrda
ES 1878

Vater: Samuel Stern, Handelsmann in Wehrda, Mutter: Giedel Löwenstein. Schwestern von Ascher Stern (130-132) und Moritz Stern (126).

138. Stern, Lina oder Lilli geb. 8.7.1890, Ockershausen
ES 1900-03

Vater: Koppel, Handelsmann, geb. 10.1.1841, gest. 1908 Ockershausen, Vetter von Jonas Stern (134/135) Mutter: Amalie geb. Schwalm aus Treysa, gest.25.1.1898. Brüder: Carl, Rechtsanwalt in Düsseldorf, und Leopold. Lilli wohnt beim Tode des Vaters in Wattenscheid. (s. Genealogie) Aus Koppels zweiter Ehe mit Emma Oppenheimer gibt es noch eine Tochter Helene, 6.5.1899.

139. Stern, Margot geb. 17.3.1921, MR
ES 1931-35, "zum Oberlyzeum Kassel"

Vater: Sally Stern, geb. Cölbe 1.1.1888, Kfm., Barfüßertor 34, Bruder Reginas (141). Familie wohnt Mai 1939 Kassel. Wandert nach Amerika aus.

140. Stern, Pauline geb. 4.6.1871, MR
ES 1880-86

Vater: Kfm.

141. Stern, Regina gen. Rosa geb. 9.8.1890, Cölbe
ES 1899-1902

Vater: Isaak, Kfm. Bruder: Sally. Regina ist die Tante Margots (139).
Regina heiratet Richard Philipsborn, geb. 21.5.1880 Quedlinburg, wohnt in Kassel, und wird am 9.12.1941 nach Riga deportiert, von dort nach Auschwitz, verschollen.

142. Stern, Selma geb. 29.12.1877, Kirchhain
ES 1891

Vater: Kfm.

143. Stern, Trude Margot geb. 22.11.1922, MR
ES 1933

Vater: Julius, Kfm. MR, geb. 14.12.1885. Mutter: Elsa geb. Oppenheimer 29.1.1891. Wohnung und Geschäft: Barfüßerstraße 26. Trude geht am 30.11.1933 zur Privatschule Selter (MR). Der Bruder Hans, geb. 27.9.1917, wandert am 12.6.1934 in die USA aus. Trude folgt am 6.9.1938, die Eltern am 28.10.1939. Ausbürgerung 1943.

144.
 
145.
 
Strauß, Antonia/Toni
 
Strauß, Helene
 
geb. 14.6.1885, MR
ES 1892-1902 Sel.
geb. 24.9.1889, MR
ES 1896-1906 Sel.

Vater: Hermann/Haune, Kfm. MR, Bahnhofstraße 13, später Ffm., geb. 10.7.1856 Amöneburg, gest. 1934 Ffm., Bruder von Isaak (148) und Salomon (161) Bruder: Siegfried, 10.10.1898, MLS 1907-15. Familie Strauß eine alte weitverzweigte Amöneburger Familie (vgl. Arnsberg). Lederhandel Koppel Strauß (Vater von Hermann, Isaak und Salomon), 1873 in MR gegr., von Hermann und Salomon in der Bahnhofstraße geführt, später nach Ffm. erweitert, wohin Hermann Strauß 1915 zieht, in zweiter Ehe mit Selma Wertheim verh. (172). Koppel Strauß stirbt 1917 86-jährig, seine Frau Johanna Kann 1928 mit 93 Jahren.
Toni heiratet Max Ferse, geb. 22.2.1878, Gelsenkirchen, beide verschollen in Riga.

146. Strauß, Dina geb. 1.6.1876, MR
ES 1887

Vater: Kfm.

147. Strauß, Dora geb. 16.7.1868, Kirchhain
ES 1880

Vater: Jacob Strauß, Kfm. Mutter: Emilie, geb. Stern.

148.
 
149.
150.
Strauß, Flora
 
Strauß,
Thekla und
Elsa
geb. 25.10.1887, MR
ES 1897-1902
geb. 29.5.1895 MR
ES 1906-1910

Vater: Isaak, Kfm., geb. 17.8.1857 Amöneburg. Bruder von Hermann (144/145) und Salomon (161-63). Wettergasse 2. Zwei weitere Töchter: Bella, geb. 5.4.1889, Paula, 13.4.1891.    
Else heiratet 1921 Helmuth Löwensberg aus Ickstadt. Thekla heiratet Leo Marxheimer aus Langenschwalbach, geb. 4.3.1885. 21.7.1925 wird die Tochter Ruth geboren. Ende 1938 zieht Familie Marxheimer zu Isaak nach MR. Sie werden 1941 nach Riga deportiert (verschollen Stutthof) und Isaak kommt im September 1942 - 85-jährig - nach Theresienstadt, wo er am 17.Oktober stirbt. Flora heiratet Speier in Ffm. und wird nach Auschwitz deportiert. (GB) 

151. Strauß, Ida geb. 20.2.1866, MR
ES 1878

Vater: Großhändler MR. Ida stirbt am 7.10.1884. (Friedhof MR)

152.
 
153.
 
Strauß, Ilse
 
Strauß, Josephine
 
geb. 26.3.1903, MR
ES 1911-17
geb. 14.3.1905, MR
ES 1915-21 I

Vater: Karl, Bankier, geb. 1872, Sohn von Baruch Strauß (158/159). Wohnung: Wilhelmstraße 30 und Weißenburgstraße 17. Karl Strauß stirbt 14.5.1927 in Ffm. Ilse verlobt sich 1928 mit Eugen Fischer aus Ffm. 1940 wird ihr die Staatsangehörigkeit aberkannt, was ein Zeichen für Auswanderung ist.

154. Strauß, Ilse geb. 3.2.1915, MR
ES 1925

Vater: Hermann, geb. 1.10.1876, Kfm., Wetter; "geht zur Volksschule Wetter über"; "vor Jahren abgewandert". Bruder: Sally, 3.7.1907, MLS.

155.
 
156.
 
Strauß, Irene
 
Strauß, Minna
 
geb. 10.3.1903, MR
ES 1911
geb. 15.8.1904, MR
ES 1914-21 I

Vater: Salomon, geb. 23.2.1868 in Amöneburg, gest.15.10.1918, Kfm., MR. Mutter: Meta geb. Ascher 1877 in Nördlingen. Wohnung: Bahnhofstraße 9, Meta später Wilhelmstraße 13.
Irene macht 1922 Abi MLS, hat eine Sprachenschule, geht schon 1933 nach Jerusalem. Minna ist kaufmännische Angestellte, heiratet 1928 Erwin Wohl. Meta zieht am 2.5.1934 nach Bad Homburg ins Sanatorium Rosenthal. Auswanderung.

157. Strauß, Johanna geb. 23.1.1870, Kirchhain
ES 1878

Vater: Moses, geb. Kirchhain 24.4.1844, Kfm. in MR, gest. 31.8.1916. Mutter: Jeanette geb. Reis, geb. 14.12.1848, gest. 13.1.1904.

158.
 
159.
 
Strauß, Johanna
 
Strauß, Thekla/Doni
 
geb. 14.12.1866, Kirchhain
ES 1878
geb. 26.12.1868, Kirchhain
ES 1878-83

Vater: Baruch, Handelsmann in MR. Hinter dieser harmlosen Bezeichnung des Schulverzeichnisses verbirgt sich der Bankier Baruch Strauß, der es vom Handelsmann aus Amöneburg (geb. 11.3.1842) zum Bankhaus Strauß und Söhne in MR und Ffm. gebracht hatte. Gest. MR 25.1.1914. Mutter: Josephine geb. Kaufmann 1843, gest.31.1.1904, Schwester von Moritz Kaufmann (85). Brüder: Hugo 1869, Karl 1872 (152/153), Albert 1874, alle Bankiers, denen der Vater das Geschäft hinterlässt. Das Bankhaus Strauß wird 1929 an die Dresdner Bank verkauft. Johanna verh. Reiß, Eisenach, Thekla verh. Herxheimer, Ffm. Thekla und ihr Mann Karl Herxheimer, geb. 26.6.1861, werden nach Theresienstadt deportiert, wo Karl Herxheimer am 6.12.42 stirbt, Thekla in Auschwitz verschollen (GB).

160. Strauß, Rosa geb. 2.4.1873, Amöneburg
ES 1883

Vater: Joseph Strauß, Kfm., später MR. Mutter: Pauline geb. Moses. Joseph Strauß ist bei Moritz Erlanger im Sterben.

161.
 
162.
 
163.
 
Strauß, Viktoria
 
Strauß, Mathilde
 
Strauß, Bertha
 
geb. 19.2.1890, MR
ES 1898-1906 Sel.
geb. 24.9.1891, MR
ES 1898-1907 Sel.
geb. 19.10.1899, MR
ES 1906-16

Vater: Salomon, Viehhändler, später Lederhandel, geb. 3.6.1859 Amöneburg, gest.22.8.1922 MR, Bruder von Isaak (148-150) und Hermann (144/145). Mutter: Johanna geb. Heilbronn 5.3.1866, gest. 24.7.1915 MR. Brüder: Max 1892, wandert 1938 nach Palästina aus, Friedrich 1894, Benno 1895, beide MLS. Familie wohnt Bahnhofstraße 24, Lederhandel Koppel Strauß (vgl. Arnsberg).
Mathilde heiratet 1915 Hugo Zunt aus Hamburg. Bertha geht 1916 nach Hamburg, wandert 1937 nach Palästina aus.
Salomon Strauß ist in zweiter Ehe mit Emilie Reis, geb. 3.6.1880, verheiratet und hat noch einen Sohn Kurt, 12.2. 1918, MLS. Emilie stirbt 1933. (s. Genealogie)

164.
 
165.
 
166.
 
Waldeck, Helma
 
Waldeck, Anna
 
Waldeck, Ruth
 
geb. 27.1.1906, MR
ES 1912-16
geb. 27.3.1911, MR
ES 1918-26
geb. 20.7.1913, MR
ES 1919-26 und 1927-29

Vater: Adolf, Tierarzt, Untere Rosenstraße 3. 1929 zieht die Familie nach Aachen. Dem Schülerinnenverzeichnis nach geht Helma 1916, Anna 1926 zur höheren Töchterschule nach St. Ingbert/Saar und Ruth 1929 zur höheren Schule nach Treysa. Im GB steht Ruth mit ihrem Geburtstag als Friederike Dinkelspiel geb. Waldeck, verschleppt nach Sobibor, für tot erklärt. Unterm Herkunftsort Aachen wird Zerline Waldeck geb. Katz genannt, geb. 30.8.1881, verschollen Sobibor.

167. Wallach, Lieselotte geb. 24. oder 26.9.1904, Ziegenhain
ES 1920/21 I

Vater: Moritz, Kfm., Wohnort Treysa.

168. Walldorf, Henriette gen. Henni geb. 8.10.1912, Ebsdorf
ES 1924-27

Vater: Moses, Kfm. in Ebsdorf, geb. 21.2.1884 Großen Buseck. Mutter: Dina Thekla geb. Theisebach, geb. 28.9.1886 Hatzbach. Wohnung: Ebsdorf, 1936 zwangsumgesiedelt MR, Haspelstraße 17, danach Ghettohaus Schwanallee 15. Im Nov./Dez.1938 war Moses Walldorf im KZ Buchenwald. 1939 gehört er mit Sally Goldschmidt (64), Hermann Reis und Alfred Rosenberg zum Vorstand der in einen Verein umgewandelten jüd. Gemeinde. Beide werden am 1.6.42 nach Lublin dep. (GB: Warschau verschollen). Henriettes Bruder Max, geb. 30.9.1914, Abi MLS 1934, wandert 1936 nach Südafrika aus. Henriette heiratet 1935 Erwin Höchster aus Roth, geb. 6.9.1910, und folgt nach der Geburt der Tochter Marion im Dez. 1936 am 22.3.1937 Mann und Bruder nach Südafrika. Sie stirbt am 28.Okt.1989. Max Walldorf lebt in Johannesburg. Erwin Höchsters Eltern Hermann Höchster, geb. 3.9.1881 und Bertha geb. Wertheim, geb. Kirchhain 7.11.1889, werden mit allen seinen Geschwistern ebenfalls dep. Es überlebt nur die jüngste Tochter, die mit einem Kindertransport nach England geschickt worden war. (Auskunft Max Walldorf)
Über ihre Großmütter, geb. Isenberg, waren Moses Walldorf und Dina Theisebach Vetter und Kusine und mit den Buchenauer und Elmshäuser Isenbergs verwandt.

169. Weinberg, Ruth geb. 19.8.1922, MR
ES 1933-37

Vater: Isidor, Kfm., geb. 16.1.1890 Mardorf. Mutter: Käthe geb. Goldstein, Eisleben 10.3.1894, stirbt am 29.10.1937 in Ffm. Geschäft Universitätsstraße 1. Ruth wird am 15.2.1937 gezwungen, die Schule zu verlassen, angeblich "finanzielle Schwierigkeiten". Am 20.6.1938 geht sie nach Straßburg und am 19.3.1938 zusammen mit dem Bruder Herbert, geb. MR 28.6.1921, in die USA, wo sie noch heute lebt. Auch für Isidor Weinberg gibt es den Vermerk "Aufenthalt im Ausland", 10.3.42. Ruth in einer Klasse mit Ruth Rosenberg, Trude Stern, Cornelia Sell, Hildegard Kürschner, Birgitta Heiler, Cornelia Michel.
Die Familie wohnte zusammen mit den Eltern Raphael, geb. 23.4.1853, gest.19.1.1930, und Rosa Weinberg, geb. 3.6.1857, gest.31.12.1918. Weinbergs alte Mardorfer Familie.

170.
 
171.
 
Weißbart, Julia
 
Weißbart, Lotte
 
geb. 27.4.1902, Gelsenkirchen
ES 1909-13
geb. 22.3.1906, Gelsenkirchen
ES 1912/13

Vater: Eugen, Kfm., Casseler Straße 14. Abmeldung Ostern 1913.

172.
173.
Wertheim, Caroline und
Dina
geb. 28.10.1865, Witzenhausen
ES 1880

Vater: Gerson Wertheim, geb. Witzenhausen 24.8.1825, Kfm., gest. MR 2.8.1916 (Friedhof MR). Mutter: Karoline Strauß. Wohnung: Roter Graben 6.
Dina heiratet Karl Müller, Northeim, wird Witwe und kehrt mit Tochter Gerda (96) nach MR zurück. Caroline heiratet Bundheim, Hamburg, stirbt am 2.10.1942 in Theresienstadt. Eine Schwester Flora, geb. 4.4.1858, heiratet Salomon Rosenbaum in Grebenstein, Mutter von Clara (109), stirbt am 28.2.43 in Theresienstadt (GB). Schwester Selma, geb. 1860, heiratet Hermann Strauß (144/145), ist 1939 in London. Der Bruder Hermann Wertheim hat die Leitung des Bankhauses Wertheim in Ffm. übernommen, ein anderer Bruder, Jonas Wertheim, lebt in Berlin.
Dina Wertheim wandert 1937 mit der Tochter Gerda und deren Familie (96) nach Chile aus. (s. Testamente und Genealogie)

174. Wertheim, Carola geb. 24.12.1919, MR
ES 1930-29.9.33

Vater: Dr. Willi Wertheim, Rechtsanwalt, geb. Hatzbach 28.1.1892. MLS 1903-11/Abi, Studium MR. Mutter: Cäcilie Plachte, geb. 9.9.1894. Bruder: Martin, geb. 29.9.1925. Casseler Straße 3 3/4, später Biegenstraße 38. 1933 geht die Familie nach Frankreich ("Wegzug der Eltern"). Ausbürgerungsverfahren 4.6.1937. In den Akten gibt es mehrmals Bemerkungen über Willi Wertheim: "1933 nach Frankreich geflüchtet", "soll im Straßburger Sender Hetzreden gehalten haben", "der heute als Buchhändler in Straßburg Schundliteratur vertreibt". Der Bruder Willis, David Wertheim, geb. 6.12.1890, verheiratet in Kirchhain mit Irmgard Reiss, geb. 23.12.1902 Ulrichstein, wandert mit seiner Familie aus. Der Vater Willi Wertheims, Meier Wertheim, stirbt um 1900, die Mutter Juliana, geb. 23.11.1863, zieht nach Kirchhain, wo sie am 2.1.1931 stirbt (Friedhof Kirchhain). Willi Wertheim wird 1943 in Frankreich ins Sammellager Drancy bei Paris gebracht und am 4.3.1943 ins KZ Lublin deportiert.
Carola Wertheim lebt heute in Kanada.

175. Witt, Jenny geb. 30.7.1912, Mislowitz
ES 1925-30

Vater: Dr. Chaim W., Leiter des jüdischen Schülerheimes, Schulstraße 7, das zu dieser Zeit schon in ein Heim für psychisch kranke Kinder umgewandelt worden war. Familie kommt aus Breslau ("hat Abgangszeugnis des staatl. Gymnasiums Breslau"). Jenny geht 1930 zum Froebel-Seminar Gießen. 1935 zieht die Familie nach Berlin. Bruder: Nathan/Hans, 17.7.1915, Abi MLS 1933. Jenny wandert nach Palästina aus, wo sie heute noch lebt.

176. Wolf, Ilse geb. 31.3.1906, MR
ES 1916-22 I

Vater: Meyer Wolf, Kfm., Universitätsstraße 20, geb. 4.7.1873. Mutter: Käthe geb. Hammerschlag 29.4.1883. Brüder: Hans Martin, geb. 28.7.1914, Kurt 6.6.1918, beide MLS. Beide Eltern werden am 5.9.1942 nach Theresienstadt deportiert, wo Meyer Wolf am 15.3.1944 stirbt. Käthe Wolf ist in Auschwitz umgekommen. Der Sohn Hans, geb. 28.7.1914, wird bei der Deportation im Dez. 1941 an einen unbekannten Ort gebracht, wahrscheinlich Riga (GB). Ilse heiratet 1929 Josef Engelbert aus Kassel und wandert nach Bolivien aus, Kurt in die USA. Meyer Wolf gehörte im November 1938 zu den Verhafteten. 

177. Ziegelstein, Anneliese geb. 17.3.1916, MR
ES 1926

Vater: Simon, Kfm., geb. 1869 Treis. Mutter: Emilie, geb. 1872. Brüder: Julius 24.8.1898, Abi MLS 1916, Albert 30.10.1900, Martin 12.12.1905, beide MLS, Ewald 1910. Schwanallee 32. Anneliese geht am 6.3.1935 nach Hofheim, der Vater Simon am 17.9.1935 nach Ffm. Von dort tätigt er 1938 einen Landverkauf. 1942 heißt es: Aufenthalt im Ausland. Simon Ziegelstein ist in die USA gegangen.

178.
 
179.
 
Ziegelstein, Irma
 
Ziegelstein, Emmy
 
geb. 24.6.1909, Sterzhausen
ES 1920
geb. 9.7.1913, Sterzhausen
ES 1923/24

Vater: Sally, Handelsmann, geb. Sterzhausen 2.1.1881. Mutter: Minna geb. Isenberg 5.9.1885. Beide ziehen am 15.6.1936 nach Kirchhain, wohnen dort Briesselstraße 273 bei Lomnitz (88). Am 29.7.1937 Schließung des Viehhändler-Betriebs. Am 8. Dez. 1941 werden Sally und Minna Ziegelstein deportiert, vermutlich Riga.
Irma heiratet am 22.3.1932 Emil Katten, geb. 8.6.1897 Halsdorf (Mutter: Rosel oder Rahel geb. Schaumberg, geb. 30.9.1870 in Schweinsberg), hat eine Tochter Marianne Inge geb. 29.6.1933 in MR und wandert am 24.11.1938 (? 24.7.1939) mit Familie und Schwiegermutter nach England aus, 1940 nach Amerika. Familie Katten/Ziegelstein wohnte Am Markt 21/22. Emmy wandert am 30.10.1933 nach England aus, ist Verkäuferin in London, später verh. in den USA, wo sie heute noch lebt.

180. Zuntz, Rosa geb. 24.9.1891, Ffm.
ES 1900-07 Sel.

Vater: Leopold, Bankier, Ffm. Wohnt bei Dr. Munk, Kasernenstraße 4 (1). Bruder: Hugo, 6.2.1889, MLS 1905/06.

[1]David Nachmansohn/Roswitha Schmid, Die große Ära der Wissenschaft in Deutschland 1900 bis 1933, Wiss. Verlagsgesellschaft Stuttgart 1988; der englische Titel, German-Jewish Pioneers in Science 1900-1933, ist deutlicher.
[2]Vgl. den Artikel Testamente
[3]StAM (Staatsarchiv Marburg) 330 Marburg C 419
[4]Hermann Cohen antwortet darauf von Marburg aus am 24. Januar 1880. Der glänzendste Name, der sich Treitschke entgegenstellte, war der von Theodor Mommsen, sein Kollege an der Berliner Universität, der damit deutlich machte, dass bei ungebrochener Rechtsstaatlichkeit Antisemitismus in seine Schranken gewiesen werden kann – im Unterschied zur Zeit nach 1933. Vgl. Walter Boehlich. Der Berliner Antisemitismusstreit, Insel Ffm. 1965
[5]Vgl. Karl Prätorius, 100 Jahre Elisabethschule in Marburg, in: Festschrift der Elisabethschule, Marburg 1979.
[6]Für das Schuljahr 1898/99 gibt es eine Aufstellung für die jüdischen Schülerinnen, insgesamt 23 in den Klassen Selecta bis VIII, aus der hervorgeht, dass der jährliche Beitrag in der Oberstufe 100, der Mittelstufe 80 und der Unterstufe 60 Mark betrug.
[7]Die Quellen sind einmal die Schülerinnenaufnahmeverzeichnisse der Elisabethschule 1, 2, 3, 4 und weitere Schulakten, wie das Schülerverzeichnis der Martin-Luther-Schule; daneben wurde die "Juden"-Kartei des Marburger Einwohnermeldeamts benutzt, jetzt Stadtarchiv D 1719, wie Akten des Marburger Staatsarchivs: die Bestände 180 Landratsamt Marburg (180 LA MR), 330 Marburg C, 330 Kirchhain, 327/1, 275 Amtsgericht Marburg, Protokolle II, 19h. Weitere Quellen werden in der Abfolge des Textes genannt.
[8]Adressbücher der Stadt Marburg seit 1868
[9]StAM Protokolle II, Gemeindeverzeichnisse Kurhessens
[10]StAM 275 Amtsgericht
[11]An der Universität Marburg wurden mit dem 31.12.1935 folgenden jüdischen akademischen Lehrern die Lehrbefugnis entzogen: Paul Jacobsthal, Erich Frank, Erich Auerbach, Otto Homburger, Karl Löwith, Richard Krautheimer. Vorher schon wurden die theologischen Lehrer Rade, Hermelink und Heiler entlassen oder versetzt, desgleichen der Historiker Wilhelm Mommsen und der Orientalist Götze, und "beurlaubt" Wilhelm Röpke und Hermann Jacobsohn. StAM 305a acc. 1975/79, 116, Bestand Universität. An der Elisabethschule fielen der nationalsozialistischen Erneuerung Hedwig Jahnow, Martha Strauß und Friedrich Sell zum Opfer.
[12]Anweisung des Landrats an die Bürgermeister am 2. Juni 1942: "In den polizeilichen Melderegistern bei der polizeilichen Abmeldung ist nicht der Zielort oder ein Vermerk "evakuiert nach dem Osten", sondern lediglich "unbekannt verzogen" anzuführen. Ich ersuche, diesen Hinweis genauestens zu beachten, damit sich keinerlei Schwierigkeiten ergeben. Die Volkskarteikarten sind entsprechend zu ergänzen." (330 Kirchhain 2269)
[13]Vgl. Alfred Fischer, In der Nähe der Ereignisse, Berlin 1991. Alfred Fischer ist der Neffe der stellvertretenden Direktorin der Elisabethschule Hedwig Jahnow und hat sein von der Zeit erzwungenes abenteuerliches Leben als Jude und Journalist in seinem ebenso anschaulich wie informativ geschriebenen Buch dokumentiert. Vgl. Öffnet internen Link im aktuellen Fenster Neumann, Hedwig Jahnow
[14]vgl. Alfred Fischer, aaO.
[15]Barbara Händler-Lachmann/Thomas Werther, Vergessene Geschäfte – verlorene Geschichte, Jüdisches Wirtschaftsleben in Marburg und seine Vernichtung im Nationalsozialismus, Marburg Hitzeroth 1992
[16]Israelitisches Schüler- und Lehrlingsheim, Vereinssatzung vom 18.2.1900, StAM 275 Amtsgericht. Das Schülerheim wurde sowohl von Gymnasialschülern bewohnt, als auch von Schülern, die die israelitische Volksschule besuchten, die damals (1896-1918) unter der Leitung von Abraham Strauß stand, deren Herkunftsorte etwa Mardorf, Wetter, Hohensolms, Treysa, Laasphe, Nümbrecht waren. 330 Marburg C 4453. Der bedeutende Namen von Hermann Cohen, wie  auch die innerjüdische Solidarität hatte dafür gesorgt, dass die Mitgliedschaft  des Vereins sich weit ins Deutsche Reich ausdehnte. Besonders die namhaften Familien Berlins, Frankfurts und Hamburgs waren in außerordentlicher Anzahl vertreten. Aus Berlin zeichneten Rudolf Mosse, Felix Liebermann, Baron Bleichroeder, Eduard Cassirer, Loeser und Wolff, aus Frankfurt Baron Rothschild, Charles Hallgarden, Leopold Sonnemann, M. Budge, Hermann Wronker, aus Hamburg Moritz Warburg, aus Kassel Adolf Gotthelft, aus Marburg Baruch Strauß, Hermann Eichelberg, um nur einige Namen zu nennen.
[17]Axel Erdmann, Die Marburger Juden, Diss. Marburg 1987
[18]Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen, 2 Bde., Ffm.1971

Denken und Gedenken

Von Georg Wieder

Zu den Entwürfen eines Mahnmals von Schülerinnen und Schülern der Elisabethschule

I.

Zum Schuljahresende 1991/92 konnten der Gesamtkonferenz über zwanzig Schülerentwürfe sowie ein Vorschlag der Fachkonferenz Gemein­schaftskunde vorgestellt werden. Daraufhin entschied sich der für das Vorhaben eines Mahnmals eingesetzte Arbeitsausschuß für eine Auswahl von drei Entwür­fen zur Vorlage im Plenum im Hinblick auf eine endgültige Abstimmungsent­scheidung. Im Nachhinein kann man die enge Vor-Auswahl von nur drei Arbei­ten nicht nur aus Schülersicht bedauern, andererseits kann man die damit beab­sichtigte Entscheidungshilfe auch wieder nachvollziehen. Nach einer äußerst leb­haften und verständlicherweise kontroversen Diskussion in einer Folgekonferenz, wobei von grundsätzlichen Aspekten bis zu spitzfindigen Detailfragen jedwede Tendenz ihr Sprachrohr fand – die Vorarbeit des Ausschusses schien absurder­weise fast ins Abseits zu geraten – entschied man sich zwischen den Alternativen Innen- oder Außenobjekt für das letztere und in der Wahl zwischen Kollegen­oder Schülerentwurf prinzipiell für eine Schülerarbeit: Zwei Vorentscheidungen, die im Nachhinein die uns bekannten Schülermeinungen unterstützen konnten. In einer letzten Abstimmung wurde schließlich der Entwurf von Thomas Perst aus der Jahrgangsstufe 13 favorisiert.

II.

Die Mehrzahl der Schülerentwürfe entstand als Praxisversuch zum Ende einer Unterrichtseinheit über das Schicksal jüdischer Bürger im Marburger Raum zur Zeit des Naziregimes. Einige Entwürfe sind in freiwilliger Entscheidung von ei­nem anderen Kurs zuhause angefertigt worden; alle Arbeiten stammen von Teil­nehmern der Kunstkurse aus den Jahrgangsstufen zwölf und dreizehn unter der Leitung von Herrn Hatscher bzw. Herrn Wieder.

Die für die Kursarbeit bereitgestellten Quellen und Materialien, vor allem Foto­ und amtliche Textdokumente, Zeitungstexte, Statistiken wie auch eine kritische Textauswahl aus aktueller Sicht, waren als Angebot gedacht, um in Gruppen­oder Einzelarbeit zunächst eine konkrete Erfahrungs- und Wissensgrundlage zu schaffen. Die Vorkenntnisse über diese Zeitvorgänge waren gering, ganz im Un­terschied zu dem Wunsch, Näheres zu erfahren und zur emotionalen Bereitschaft, sich in schmerzliche Auseinandersetzungen einzulassen. Nach unseren Erfahrun­gen ist eine solche Bereitschaft für eine derartige "Kursthematik" nicht selbstver­ständlich; ohne diese Voraussetzung wäre allerdings solch ein Vorhaben auch eher eine Farce. Wir haben aber auch erlebt, daß vorherige Kurse letzten Endes nicht bereit oder in der Lage waren, sich einem derart problematischen Unter­richtsangebot zu stellen. Was man akzeptieren sollte, wenn es darum geht, wie im vorliegenden Fall, daß Schüler eigenverantwortlich persönliche Entwurfsvorstel­lungen realisieren.

Einige wenige Entwurfszeichnungen sind hier nicht abgebildet, weil eine Umset­zung in ein konkretes Objekt als nicht realisierbar erscheint. Die Abbildungen zeigen darüberhinaus – bei Schülerarbeiten einleuchtend – nicht unerhebliche Qualitätsunterschiede, was die Schlüssigkeit gestalthafter und appellativer Krite­rien betrifft, und über manche Material- und Konstruktionsvorschläge wäre erst noch im Detail zu beratschlagen gewesen. Auch die mitunter rigorose und krasse Symbolik verwundert eigentlich nicht, wenn man weiß, wie kompromißlos – aber auch hilflos – praktische Arbeiten geraten können, wenn Jugendliebe Partei er­greifen. Das soll hier aber gar nicht weiter erörtert werden, denn in diesen Unsi­cherheiten kann man genauso gut, in diesem Fall eher sollte man, Ausdruckskri­terien ehrlicher Absicht und entschiedener Anteilnahme erkennen. Ebensowenig aber läßt sich auch nicht übersehen, daß eine Anzahl der Arbeiten auch "professionellen" Maßstäben mehr als genügen kann: Sie zeigen unkonventionelle gestalterische Ideen und gleichzeitig überzeugende formale Sicherheit – was in­nerhalb der offiziellen "Denkmalkultur" nicht gerade häufig anzutreffen ist. Beim Betrachten der Abbildungen fällt weiterhin auf, daß trotz anfänglicher Vorlieben für plastische Objekte sich manche Schüler dann doch für reliefartige Arbeiten entschieden haben, denn in dieser Technik lassen sich vielteilige und differenzierte Inhalte fast unbegrenzt darstellen, ohne dabei auf statische Proble­me und eine reduzierte Formstrenge Rücksicht nehmen zu müssen. Andere Schüler sahen gerade in einer Zurücknahme von Formenvielfalt einen Anreiz, freiplastische Konstruktionen und damit stärker eine Auseinandersetzung mit zei­chenhaft appellativen Möglichkeiten zu versuchen.

III.

Die schriftlichen Schülererläuterungen zu den Entwürfen sind, sofern es wel­che gibt, an Ausführlichkeit recht verschieden. Sie reichen von knappen sachli­chen Angaben bis zu mehrseitigen persönlichen Kommentaren. Sie können hier nur auszugsweise, in Zusammenfassung oder sinngemäß wiedergegeben werden.

  1. Außeninstallation in Form eines sternförmigen Bodenobjekts. (Thomas Perst, 13/1)
  2. Freiplastische Figurengruppe für die Halle, lebensgroß.
    Die Vergangenheitsbewältigung und ein bewußtes verantwortungsvolles Umgehen mit der Zukunft erfordert eine zeitgemäße Auseinandersetzung mit der Judenver­folgung zur Zeit des Dritten Reiches. In diesem Zusammenhang plant die Elisa­bethschule eine Gedenkstätte, welche die Schüler an das Leiden der jüdischen Mitbevölkerung erinnern soll, und sie vor unbedachter Diskriminierung von Minderheiten warnt. – Die Aufgabe ist es demnach, eine mögliche Gestaltungsform für diese Gedenkstätte zu finden und die nötigen Skizzen anzufertigen, welche die unterschiedlichen Ideen verdeutlichen.
    Mit dieser Aufgabe konfrontiert, überlegte ich mir zunächst, in welchem Rahmen ich an die Zeitereignisse und die jüdischen Schülerinnen der Elisabethschule, deren Schicksale uns zum großen Teil nicht mehr bekannt sind, erinnern möchte.
    Eine Gedenktafel mit einer Auflistung der Namen der Betroffenen erfüllt nicht den mahnenden, erschütternden Appell, den ich mir für meine Arbeit erhoffe – eine Namensliste ist für Unbeteiligte einer späteren Generation eher unpersönlich und tot. Diese bewährte Form des Erinnerns entspricht nicht meiner Vorstellung von einer lebensnahen Mahnung. Bei der Auseinandersetzung mit der Judenver­folgung beschäftigt mich dagegen immer das "Warum". Warum haben alle ge­schwiegen? Warum können sie sagen, sie hätten es nicht gemerkt, nicht bewußt registriert, daß ihre Mitmenschen spurlos verschwanden, mitten unter ihnen das größtmögliche Unrecht herrschte und eine verhängnisvolle Diskriminierung un­aufhaltsam ihre Opfer forderte. – Als Erklärung hierfür bleibt mir nur die menschliche Fähigkeit, Unangenehmes zu verdrängen – das Leiden und Übel rückt aus dem Bewußtsein, und es wird so tief verdrängt, daß man später unver­logen sagen kann, man habe nichts gewußt. - Dieser Punkt der Verdrängung, des Vorbeisehens an dem Elend, um jegliche Schuldgefühle von sich weisen zu kön­nen, beschäftigt mich am meisten und sollte so auch zum Gegenstand meiner Ar­beit werden. Dieses Verhalten können wir nicht nur unseren Großeltern vorwer­fen, denn es lastet dem Menschen allgemein an – Menschen werden auf Grund äußerlicher Unterschiede diskriminiert oder gar verfolgt. Minderheiten werden verachtet und über das Leid der Betroffenen wird hinweggehört, schon gerade, wenn ein mächtiges politisches System Druck in dieser Richtung ausübt. – Mit der "Gruppe in der Aula" soll dem Schüler das Problem dieser Ignoranz verdeutlicht werden können, ohne an die oft schlimmen Folgen, wie etwa den Tod im KZ zu erinnern. Die zahlreichen Konsequenzen, die das Stillschweigen der Bevölkerung mit sich brachte, sind uns zum großen Teil bekannt, und doch spürt man Angst und Not nicht mehr, die das Leben der Juden im Dritten Reich begleiteten. Jene Folgen zu verhindern, setzt eine Bewußtseinsveränderung der Unbetroffenen vor­aus, eine Anteilnahme und ein gewisses Verantwortungsgefühl, sei es gegenüber dem gehänselten Klassenkameraden oder dem verfolgten Juden...
    Um eine Generation – welche die Folgen der nationalsozialistischen Zeit nicht unmittelbar zu tragen hat – wach zu halten und sie für die Zukunft zu sensibilisie­ren, habe ich das Thema in meiner Arbeit aktualisiert, was durch die moderne Kleidung, wie sie heute unter Schülern üblich ist, verdeutlicht wird. Die Perso­nengruppe sollte so lebendig wie möglich sein, um für den Betrachter zu einem angreifbaren Beispiel zu werden. Die Zeitgrenzen müssen sich auflösen, um bei ihm wirkliches Bewußtsein zu erlangen. So ist es auch sinnvoll, diese Gruppe nur für einen gewissen Zeitraum auszustellen, da sonst die Gefahr groß ist, daß sie zur Alltäglichkeit gehört und so ihren auffordernden Charakter verliert. Alle Per­sonen der Gruppe müssen so gleich wie möglich sein, bis auf die Kennzeichnung des Mädchens in der Mitte, welche sie zur Jüdin macht – wobei hier wichtig ist, daß es im Grunde erst die Kennzeichnung und somit ein von außen aufgesetztes Merkmal ist, das sie zur Außenstehenden werden läßt. Die anderen drei Figuren müssen sich so demonstrativ von der Weinenden im Mittelpunkt abwenden, daß der Betrachter nicht umhin kann, eben sie anzuschauen. Ihre Haltung muß die Verzweiflung, Einsamkeit und Kälte ihrer Umgebung symbolisieren. Auf jeden Fall muß dem Betrachter vor Augen geführt werden, daß er sich zu oft von dem Leid um ihn herum abwendet. Dies kann auch durch einen entsprechenden Kom­mentar zu der Gruppe oder durch einen nachdenklichen Text in lyrischer Form gewährleistet werden. – Wichtig ist mir also in erster Linie die Nähe des Betrach­ters zur Gruppe – er soll sich sowohl mit der Ausgestoßenen, als auch mit den Verstoßenden identifizieren können und so jegliche Distanz zu dem "altbekannten Thema" überwinden – er muß durch die Lebendigkeit der Figuren zum Nachdenken angeregt werden. Diesen Überlegungen zum inhaltlichen Teil meiner Arbeit folgten die praktischen. Zunächst wurden einige Fotos – von geeig­neten Plätzen der Schule, sowohl innen als auch außen, gemacht... Familien­mitglieder mußten Modell stehen für die Skulpturen. Die Gruppenkonstellation und Größe wurde der Perspektive und den Proportionen der Aula angepaßt. Mein Entwurf wurde in Kohle gezeichnet und teilkoloriert. Um die Zeichnung in der vorliegenden Form zu verwirklichen, mußte ich eine Vielzahl technischer Pro­bleme lösen. Wichtig ist mir besonders: die Figuren sollen zum Anfassen leben­secht sein. (Sigrid Adorf, 13/1)
  3. Wandobjekt für Innenraum: Duschraum-Installation, Stahltür 170 cm hoch. Bauweise der Tür erzwingt Fragen bzw. Assoziationen. Konfrontation mit dem Guckloch, Perversität des Außenstehens: Sind wir die stillen Betrachter? (Robert Mann, ehemaliger Schüler und Abiturient der Elisabethschule)
  4. Wandrelief aus gravierter Stein- oder Metallplatte mit stelenartigem Sei­tenabschluß, für den Innenraum. Text und Entwurf nach Vorstellungen der Fach­konferenz Gemeinschaftskunde.
  5. Säulengruppierung aus Naturstein für den Außenbereich: "Die abgebroche­nen Säulen des Mahnmals stehen für die gewaltsame Vernichtung von Menschen­leben, wie es in der NS-Zeit geschah. Durch die Bruchstelle wird die abrupte Zertrümmerung einer aufgebauten Existenz ... bewußt gemacht. Die unterschied­lichen Abmessungen der Säulen stellen die verschiedenen Lebensstadien dar, die durchweg betroffen waren, so auch Kinder und Erwachsene. Was zurückbleibt, ist der kahle und kalte Stamm jeder Existenz... Dieser nicht verschwindenwollende Stamm ist uns noch bewußt und soll es auch in Zukunft bleiben... " (Markus Wasinski, 12/11)
  6. Reliefplatte aus Metallguß, ca. 100 cm hoch. (Andrea Jakobi, 12/11)
  7. Außeninstallation, verschiedene Materialien (Holz, Stein, Eisenrohr, Stachel­draht, Schienen, Schotter), ca. 400 cm hoch. Der Realismus des KZ-Tores soll auf-rüttelnd und bedrohlich wirken wie auch durch signalhafte Elemente (Sta­cheldrahtstern und Text) mahnenden Charakter erhalten. (Stefan Kißling, 12/11)
  8. Stelenartiges Außenobjekt, Stein- oder Holzkonstruktion, 120 cm hoch. – Der sternförmige Grundriß soll durch Schrägschnitt der Oberkanten als Stern­symbol deutlich erkennbar bleiben. Das damals diskriminierende Zeichen soll jetzt zum ausdrucksstarken Symbol als plastische Form neu erstehen. Das Mahn­mal soll dadurch auffallig von der Form und einfach in der Realisierbarkeit sein. "Die signifikante Form des Objekts soll durch ein konzentrisch angelegtes Rosen­beet zusätzlich hervorgehoben werden, wobei ein Kontrast zwischen der Farbe des Objekts und der Farbe der Rosen bestehen sollte." Aufstellung auf dem geschot­terten Schulhof, dessen Niveau niedriger liegt als der Zugangsweg, so daß auch eine schräge Draufsicht gewährleistet ist. Texttafel vorgesehen. (Marc Stauze­bach, 12/11)
  9. Außenobjekt in Metall- oder Holzkonstruktion mit Steinsockel. Ca. 200 cm hoch. Symbole farbig. (Marco Sauer, 12/11)
  10. Holz- und Stahlrohrkonstruktion für den Außenbereich, farbig, 250 cm hoch. Die Farbkonstruktion Braunschwarz (Galgen), Rot (Hakenkreuz) und gel­ber Davidstern ist absichtsvoll gewählt, um auf bisherige und gegenwärtige anti­semitische Tendenzen in Deutschland hinzuweisen. (Esther Pfaff, 12/11)
  11. Reliefplatte für den Innenraum, gravierter Stein- oder Metallguß. Das Ha­kenkreuz als Symbol soll als Hinweis auf latente Gefahren umdrahtet, also ge­bannt sein. "Der Judenstern und Christenkreuze als Flammen der Kerzen stehen für das Verständnis, das zwischen Christen- und Judentum herrschen sollte. Der Ursprung der beiden Religionen ist der gleiche, und deshalb sollten sie auch gleich behandelt werden." (Linda Mummenthal, 12/11)
  12. Diagonal zu hängender Wandstern für den Innenraum aus sich durchdrin­genden Holzplanken. Text auf Innenfeld. Darunter separat hölzerne Gedenktafel. (Irnke Jungheim, 12/11)
  13. Außeninstallation aus hölzerner Bank in normaler Abmessung, grün oder weiß gestrichen, dazu schwarze Aufschrift. Kurz gehaltener Rasen mit Platten­pfad. "Das Normale und Alltägliche, was das Schockierende noch unterstreichen soll, ist die Bank im Grünen mit einer Mülltonne für Abfälle. Die knappe Auf­schrift allein könnte schon die schockierende Vergangenheit zurückholen." (Julia Schaper, 12/II)
  14. Mahnmal für den Außenraum, Sockel und Platte aus Beton, Stern aus Holz, Stacheldrahtfigur, Eisennägel, 140 cm hoch. – Achsensymmetrie und zen­trale Figur sollen die Aussage schnell und leicht verständlich halten. Analogie der gekreuzigten Figur zum "jüdischen Stacheldraht-Opfer" ist problematisch und schockierend, aber als Warnung notwendig. (Roland Zimmermann, 12/11)
  15. Freiplastische Holzbalkenkonstruktion in Form eines sich durchdringen­den Sterns für den Außenraum. Aus appellativen und statischen Gründen ist die Sternform verfremdet. Ca. 200 cm hoch. Konstruktion steht auf kreisförmiger Steinplatte, eingelassene Texttafel. "Im 'Dritten Reich' wurde der Davidstern das Symbol für brutalen, verbrecherischen Antisemitismus. Seitdem wird er in Deutschland mit dem Begriff Judenverfolgung assoziiert... Die Abstraktion des eigentlich streng symmetrischen Davidsterns soll die Aufmerksamkeit Vorüber­gehender wecken... Der Text sollte meiner Meinung nach über die übliche Infor­mation hinausgehen... Die Texte fordern zum Handeln auf gegen alles Unrecht, wobei gerade auf die Wichtigkeit kleiner Beiträge Wert gelegt wird. Bei dem zur Zeit in Deutschland zu beobachtendem zunehmenden Einfluß rechtsradikaler Gruppierungen erhalten diese Texte besondere Bedeutung: – Niemand begeht ei­nen größeren Fehler als jemand, der nichts tut, nur weil er wenig tun könnte. – Das Wenige, was du tun kannst, ist viel. - Die Welt wird nicht von Menschen bedroht, die böse sind, sondern von denen, die das Böse zulassen." (Daniel Rößler, 12/11)
  16. Sternförmige Tafel für den Innenraum, Holz, farbig, 100 cm hoch. - "Der Judenstern soll auffallen durch seinen Farbkontrast (Goldgelb/Grau), aber nicht aufdringlich wirken... Das Gedenken soll im Vordergund stehen und nicht die Erinnerung an die Naziverbrechen... Man wird automatisch an diese Problematik erinnert, wenn das Wort Jude fällt, und ich will mit meinem Vorschlag diese Wirkung nicht noch verstärken. Die Juden sollen in guter Erinnerung behalten werden. So soll der Judenstern auch golden glänzen. Er soll keine depressive Stimmung hervorrufen, sondern die Beziehung zum Judentum erneuern und er­weitern." (Sandra Cerny, 12/11)
  17. Außen- oder Innenobjekt, Davidstern aus menschlichen Figuren gebildet, auf mit Steinplatten versehenem trapezförmigen Steinsockel montiert, oder ohne Sockel auf Wandfliesen im Innenraum befestigt. Ca. 215 cm hoch. Figuren in natürlicher Größe, Silberfarben lackiert. (Jens Lehmbach, 12/11)
  18. Pfeilerförmige Stele aus Buntsandstein für den Außenbereich. Sternkon­struktion aus Bronzeguß, ca. 170 cm hoch. - Das Mahnmal soll sowohl zum Ge­denken anregen als auch eine Mahnung für die Zukunft sein,..." daß es nie wie­der eine Situation dieser Art geben darf." Symbol des Davidsterns wegen schnel­ler Verständlichkeit der Aussagen. "Außerdem steht die relativ schlanke Säule als eine Metapher für eine Blume. So wie eine Blume nach oben wächst, so soll sich auch in Zukunft das Judentum wieder neu entfalten können. Die schon in man­chen Städten vorhandenen jüdischen Gemeinden sollen sich weiter entwickeln können ... " Der Aufstellungsort sollte nicht zu zentral liegen, damit das Mahnmal nicht zu dominant und aufdringlich wirkt." (Katja Becker, 12/11)
  19. Plastik für den Außen- oder Innenbereich, Steinsockel, plastische Figur aus Stein mit Händen aus Metallguß, dazu Stacheldraht. (Carsten Pfeil, 12/11)
  20. Außeninstallation, Plastik in Leuchterform mit Texttafel, dazu Beet- und Efeu­bepflanzung. Ca. 130 cm hoch, farbig. – "Der Kerzenständer ist ein jüdisches Symbol, das zwar spezifisch für diese Religion ist, aber nicht zur 'Kennzeichnung· von Juden im Dritten Reich mißbraucht wurde. Den siebenarmigen Leuchter habe ich also ge­wählt, weil er als jüdisches Symbol neutral ist. An seinen Armen läuft knallrote Farbe herunter. Sie steht für das Blut, also für die Leiden, die das Judentum im Dritten Reich, aber auch schon im Mittelalter durchgemacht hat; gleichzeitig bedeutet das 'Blut' Tod. Den Tod, den Millionen von Juden erlitten haben, nur weil sie oder ihre Vorfahren den jüdischen Glauben hatten. Ein knalliges Rot hat Signalcharakter und ist · schockender· als ein anderer Rotton. Der Ständer selbst hat die Grundfarbe Schwarz. Das hebt erstens das Rot zusätzlich hervor und steht zweitens für die dunk­len Zeiten während der Judenverfolgung. Der Leuchter steht in einem Beet, das an ein Grab erinnert. Aus diesem 'Grab', welches wiederum eine Metapher für den Tod dar­stellt und gleichzeitig an die 'Schweigephase der Deutschen vor allem in den fünfzi­ger Jahren erinnern soll, wächst Efeu am Leuchter hinauf. Das lebendige Grün soll aussagen, daß das Judentum wieder aus den Wurzeln herauswächst, oder auch, daß ei­ne alte Religion wieder in Deutschland Fuß faßt. Irgendwann wird der gesamte Leuchter von Efeu bewachsen sein." (Cordula Müller, 12/11)

IV.

Jugendliebe und Schüler erleben eine politische Gesellschaft von Erwachsenen und Älteren, der es in einer bisherigen Phase innerer und äußerer Sicherheit - die "von Natur aus" keine geeignete Voraussetzung für sozialkritische Anteilnahme besitzt - lange Zeit genügte, mit den Zauberformeln wie "Wiedergutmachung", "Vergangenheitsbewältigung" und vor allem mit diversen Verdrängungsmechanismen zu hantieren.

Erinnerungstafeln und Gedenkfeiern, so unverzichtbar und notwendig sie auch sind, ersetzen zumeist eine kontinuierliche und intensive Auseinanderset­zung. Es ginge hierbei wohl weniger um Eingeständnis und Auseinandersetzung mit einer "Kollektivschuldthese" als vielmehr um die Bereitschaft zu einer Kollektivscham und öffentlich praktizierter Verantwortung, zumindest aus der Sicht jüngerer Men­schen. Zur Aufgabe und Chance der Schule muß es gegenwärtig um so stärker gehö­ren, die angesprochenen gesellschaftspolitischen und sozialen Defizite in den Blick­punkt von Unterricht zu rücken. Die Vermittlung komplexer historischer Zusammen­hänge vom Naziregime über die beiden deutschen Nachkriegsvergangenheiten bis zu den gegenwärtigen Konflikten seit der Vereinigung - Schreckensvokabeln wie Hünxe und Hoyerswerda bis Rostock und Eberswalde zeichnen die Spur - erscheint in neuem Licht - das feige Licht nächtlicher Brandfackeln - und somit wohl von unausweichli­cher Brisanz. Solange gewisse Tendenzen der Vergangenheit sich anschicken, uns wiederum einzuholen, ist auch im Unterricht die Energie von und für Aufklärungsar­beit gefordert. Was den Unterricht betrifft, bietet eine Aufarbeitung auf regionaler Ebene neben greifbarer Anschaulichkeit auch die Hoffnung, daß sich Jugendliebe per­sönlich betroffen und angesprochen fühlen.

Das Mahnmal der Elisabethschule kommt nach beinahe fünfzig Jahren spät – wer möchte das bestreiten – aber es scheint notwendig wie nie zuvor: Es wendet sich mit seiner Stimme nach zwei Seiten. Wobei die eine Stimme in unsere Tage gerichtet uns in den Ohren gellen müßte. Das alte Übel, gegenwärtig mit neuem alten Gesicht, ist weder gebannt noch geächtet: Haß, Gewalt, Ausgrenzung und rassistischer Nationalismus stehen in seinen Zügen. Das demaskierte Gesicht des "häßlichen Deutschen" – man möchte es auf gar keinen Fall glauben! Wobei das Erschütternde vor allem für nachdenkliche junge Menschen deutlich wird, daß nämlich kaum noch zu übersehen ist, wie sich wiederum die politischen Spitzen und die politische Öffentlichkeit den Ursachen des Übels nicht stellen mögen und wie diese lieber doch nicht, aus machtpolitischen und wahltaktischen Motiven heraus, ernstzunehmenden Aufklärungswillen zeigen möchten. – Aber auch die andere Stimme eines Mahnmals, rückwärts gewandt und gleichermaßen auf Ver­brechen der Naziepoche wie auf die gehabte gesellschaftliche Verdrängung seit 1945 gerichtet, erhält aus heutiger Irritation heraus wiederum unversehens ein Gewicht, das man nicht mehr für wahrscheinlich gehalten hätte. – Wenn dieses Mahnmal denn als Symbol und Warnzeichen akzeptiert wird, dann müßte auch die Chance seiner Dynamik wahrgenommen werden, gleichsam doppelsichtig vergangene, latente und heutige Gefahren im Blick zu haben – wenn, und das ist die Problematik jedes Mahnmals, es nicht lediglich als Alibi fungiert. Zunächst einmal ist es unbesehen ja nicht mehr als ein bescheidenes internes Zeichen im Rahmen eines schulischen Organisationsvorgangs. Aus berechtigten Zweifeln ge­genüber einer administrativen "Vergangenheitsbewältigung" stellt sich zugleich die Frage: Wird dieses Objekt womöglich nur eine pflichtschuldige Geste bleiben, ein zwar sichtbares aber stummes Derivat gesellschaftlicher Bequemlichkeit – oder wird es auch in Zukunft eher das sichtbare Echo einer verantwortungsvollen größeren Dynamik sein? Es müßte ins Bewußtsein kommen, in welchem Maß die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit einer deutsch-jüdischen Katastrophe untrennbar in Zusammenhang steht mit heutigen und jeweils aktuellen gesell­schaftlichen Fehlentwicklungen. Analytische Schritte auf dem Weg zu irgendei­ner anvisierten "Wahrheit" enden nicht an einem gesteckten Ziel, sie sind wohl eher als Prozeß, als konstanter Wille und Energie einer aufklärerischen Leiden­schaft zu bestimmen. Daß es keine Garantie geben kann, Gewaltpotentiale von irregeleiteten Jugendlieben zu verhindern, wird als bittere Erkenntnis nur noch dadurch übertroffen, daß große Teile der Bevölkerung offensichtlich nach einer langen Phase der Konsolidierung nicht immun geworden sind gegenüber Aus­grenzungsideologien, so als ob nichts geschehen wäre, als hätte das Entsetzliche nicht in ähnlicher Gestalt "damals" seinen Anfang genommen. So gesehen bedeu­tet ein heutiges Mahnmal gegen Haß und Terror und Verhetzung in viel stärke­rem Maß – für Jugendliebe und Schüler - eine Verpflichtung zu spontaner Anteil­nahme und Auseinandersetzung, als das landläufige Verständnis "Mahnmal", lediglich als Anstoß für eine Rückschau, hergibt. – Und doch bleibt prinzipiell immer noch die Frage offen, ob es nicht effektivere und sinnvollere Möglichkeiten der Aus­einandersetzung als ein Mahnmal gibt; zu denken wäre z.B. an dokumentarische Ausstellungen, Schulprojekttage, Exkursionen zu den Orten des Terrors, an praktische Hilfe für Flüchtlinge und Verfolgte, an kontroverse Diskussionsrunden... u.ä. Der Wirkungskreis eines Denk- und Mahnmals ist naturgemäß begrenzt, er isoliert sich von selbst schon durch seine reduzierte appellative Sprache. Und gibt es eine "Sprache" des Mahnmals, die möglichst alle oder viele verstehen können? Versteht dadurch nicht jeder etwas anderes? Die Fragen sind auch deshalb irritierend, weil sie überhaupt gestellt werden müssen und weil es keine befriedigenden Antworten geben kann. Also Offenheit in dem Maß, wie die Möglichkeiten der Auseiandersetzung ver­schieden sein müssen. Immerhin scheint dieses Mahnmal, möglicherweise ein "Stein des Anstoßes" im doppelten Sinne, unter allen notwendigen Alternativen doch auch eine zu sein, die dem Willen zur Auseinandersetzung an unserer Schule eine absichts­volle und hoffnungsvolle Stimme gibt. Denn Gründe, nicht gleichgültig zu sein, gibt es ständig: Nicht nur die schicksalsträchtige Zahl von fünfzig Jahren, die zwischen Wannseekonferenz, zwischen der letzten und endgültigen Deportation Marburger Juden nach Treblinka sprich Auschwitz liegen. Eigentlich ist, um mit Simon Wiesen­thal zu reden,jedes Jahr, eher noch jeder Tag ein Tag der Erinnerung und Verantwor­tung. Oder nicht doch schon jede Stunde heutiger Tage, heutiger Nachrichten und Bilder, die auch schon wieder unter routinemäßiger Abstumpfung zur "Normalität" verkommen: Sprengstoffanschläge auf jüdische Denkmale in Berlin, Brandanschläge auf die Gedenkstätte Sachsenhausen – und bekannt genug, auf Asylunterkünfte im ganzen Land.

V.

Ein Nachsatz, d.h. hier eher ein Hinweis für Schülerinnen und Schüler, die sich angesprochen fühlen: Hingewiesen sei auf eine aktuelle Publikation, die alle Aspekte "zwischen gestern und heute" anspricht:

  • Spiegel-Spezial Nr. 2/1992 – Juden und Deutsche

Dort findet man auch fast alle erhältlichen Buchtitel angezeigt, die sich mit dem Themenkomplex befassen.

Für unsere Region, die Stadt und den ehemali­gen Kreis Marburg sind gerade erschienen:

  • Barbara Händler-Lachmann/Thomas Werther: Vergessene Geschäfte – verlorene Geschichte. Jüdisches Wirtschaftsleben in Marburg und seine Vernichtung im Nationalsozialismus. Marburg 1992.
  • Barbara Händler-Lachmann/Ulrich Schütt: "unbekannt verzogen" oder "weggemacht" – Schicksale der Juden im alten Landkreis Marburg 1933-1945. Marburg 1992.

Hedwig Jahnow oder Das Scheitern der Assimilation

Dieses Foto zeigt die junge Hedwig Jahnow zu Anfang dieses Jahrhunderts. Sie hat gerade in Berlin ihr Studium zur "akademisch gebildeten Oberlehrerin" abgeschlossen, bald wird sie ihre erste Stelle antreten. Ernst und selbstbewusst schaut sie in die Kamera: Sie weiß, was sie will, und weiß, was ihre Arbeit wert ist. 

Von Regina Neumann

Frau Eva Fischer und Herrn Alfred Joachim Fischer in Dankbarkeit für die großzügige Unterstützung gewidmet.

Link zur Opens external link in new windowDeportationsverfügung von Hedwig Jahnow

Der familiäre Hintergrund

"Ich, Hedwig Jahnow, älteste Tochter des Gymnasialprofessors Dr. Alfred Jahnow in Oels in Schlesien, wurde am 21. März 1879 zu Rawitsch, Provinz Posen, geboren und bin evangelischen Glaubens." Diese wenigen Sätze in ihrem ersten Lebenslauf, den sie für die Elisabethschule verfasst, sind die einzigen über ihre Familie, die Hedwig Jahnow preisgibt. Nichts von ihrer Mutter, nichts über ihre Geschwister, nichts über ihre jüdische Herkunft. Selbst die Marburger Freunde, die 1979 noch Kontakt zu ihrem Neffen haben, schweigen darüber. So ist es schwierig, mehr über ihre Herkunft zu erfahren.

Soviel ist bis jetzt geklärt:

Hedwig Jahnow wurde als Hedwig Inowraclawer geboren. Dieser Name weist auf die Stadt Hohensalza südwestlich von Thorn, deren polnischer Name Inowroclaw ist. Auch die Geburtsorte anderer Familienmitglieder lassen Westpreußen als Herkunftsgebiet der Familie vermuten.

Ihr Vater, Geburtsname Ascher Inowraclawer aus Korotoschin bei Posen, wuchs, wie er selbst in der Vita im Anhang zu seiner Doktorarbeit [19] schreibt, in ärmsten Verhältnissen auf und konnte nur mit Hilfe von Stipendien das Gymnasium besuchen und dann studieren. Sein Studium schließt er mit dem Doktortitel und dem Staatsexamen am 6.12.1876 ab und erwirbt die Lehrbefähigung für die Fächer Latein, Griechisch, Deutsch, Geschichte, Französisch und Englisch (!) [20]. Er heiratet Betty Meyer, die selbst sehr gebildet ist – sie konnte sogar altgriechisch! – und einer angesehenen Familie entstammt. Ihr Onkel Wolf Strassmann war für die Fortschrittspartei Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses und 1875 Stadtverordnetenvorsteher in Berlin, sein Bruder Ferdinand Ehrenbürger dieser Stadt.

Nach seinem Examen findet Ascher Inowraclawer von 1878 - 1880 eine Stelle als Hilfslehrer in Rawitsch; es war damals in Preußen – im Gegensatz zu Bayern – für Glaubensjuden kaum möglich, eine reguläre Beamtenstelle zu besetzen.[21] Diese erhält der Vater erst in zeitlichem Zusammenhang mit der Taufe 1880 in Breslau. Dabei nimmt er den Vornamen "Alfred" an; spätestens 1892 heißt die Familie dann "Jahnow" [22] – wohl um alle Anklänge an die jüdische Herkunft abzustreifen. (Auch Alfred Jahnows Bruder ändert, obwohl er der angestammten Religion treu bleibt, seinen Familiennamen in "Ino".) Vor diesem Hintergrund sollten wir uns fragen: Kann man sich im Marburg der zwanziger Jahre bei dem verbreiteten Antisemitismus in Oberhessen eine Stadträtin und stellvertretende Direktorin "Fräulein Inowraclawer", d. h. mit einem Namen, der eindeutig auf die ostjüdische Herkunft verweist, vorstellen? Wohl kaum.

Es sieht aus heutiger Sicht so aus, als sei die Taufe nur ein "Entreebillet in die bürgerliche Gesellschaft"; die intensive, lebenslange wissenschaftliche Arbeit seiner Tochter im Bereich der Religion und des Religionsunterrichts lässt aber die Taufe als einen Schritt aus der materiellen und geistigen Enge des jüdischen Stetls erscheinen, als einen Schritt der Assimilation an die damalige bürgerliche Welt, wie er von vielen Juden in dieser Zeit vollzogen wurde. Dennoch bewahrt der Vater sein Leben lang den Respekt vor der jüdischen Religion und der jiddischen Kultur und Sprache.

Die Einstellung in den regulären Schuldienst bringt für Alfred Jahnow mehrfach Versetzungen mit sich – in 28 Jahren mindestens vier (Breslau, Strehlen, Ratibor, Oels). Er erhält den Ehrentitel "Gymnasialprofessor" – dieser Titel und die Anstellung in Oels, einer Garnisonsstadt des Kronprinzen, sind sicher als Auszeichnung zu betrachten. Nach seiner Pensionierung 1911 zieht Alfred Jahnow nach Berlin; zu Beginn des ersten Weltkrieges gibt er freiwillig dort wieder Unterricht.[23] Nach der Tochter Hedwig wird 1882 Valerie, dann als dritte Tochter Alice und 1888 der einzige Sohn Reinhold geboren.

Während die beiden jüngeren Schwestern offenbar nicht berufstätig waren, macht ihr Bruder Reinhold eine ungewöhnliche Karriere: Er ist einer der ersten Fliegeroffiziere in Preußen, preußischer Oberleutnant und türkischer Hauptmann zugleich, und nimmt als türkischer Offizier am 2. Balkankrieg teil. Über seine Erfahrungen mit der "türkischen Lodderwirtschaft" hält er Vorträge und schreibt einen sehr amüsanten Bericht.[24] Bereits Ende August 1914 stürzt er in der Nähe von Eupen-Malmedy mit dem Flugzeug ab. Das Berliner Tageblatt widmet ihm einen ehrenvollen Nachruf: "Der Oberleutnant Jahnow wußte, wo sein Platz war. Diesmal galt es, dem eigenen Vaterland zu dienen. Der Motor raste, und der Propeller raste, da starb der junge Offizier den Fliegertod für das Vaterland." Das Vaterland hat es seiner Familie nicht gedankt.

Der mühsame Weg zur "akademisch gebildeten Oberlehrerin"

"Ich besuchte private höhere Mädchenschulen in Breslau und Strehlen in Schlesien und von 1895–98 das private Lehrerinnenseminar von Fräulein Lucie Crain in Berlin. Im November 1898 bestand ich zu Berlin die Lehrerinnenprüfung für höhere und mittlere Mädchenschulen. Ich unterrichtete von Oktober 1899 bis Ostern 1900 an der höheren Mädchenschule der Frau de Mugica und von Ostern 1900 bis Juli 1903 an der höheren Mädchenschule des Fräulein Fieber zu Berlin. Von Ostern 1903 bis Oktober 1906 bereitete ich mich an der Berliner Universität und den wissenschaftlichen Fortbildungskursen des Viktoria-Lyzeums auf das Oberlehrerinnen-Examen vor, das ich im November 1906 zu Berlin in den Fächern Religion und Geschichte bestand."

Dieser Weg kommt uns heute sehr umständlich vor. Wie ist er zu erklären?

Eine akademische Bildung war um die Jahrhundertwende für Frauen in der Regel nur über die Seminarausbildung zur Lehrerin, mehrere Jahre praktischer Unterrichtstätigkeit (mit 20 Jahren!) und ein sechssemestriges Studium als Gasthörerin an der Universität und dem Besuch einer Fortbildungsanstalt möglich (die ersten Studentinnen wurden an der Universität in Berlin im Oktober 1908 immatrikuliert).

Wie Hedwig Jahnow in ihrem Lebenslauf aufzeigt, legen die Eltern großen Wert auf eine sorgfältige Erziehung der Kinder. Da es nur wenige öffentliche Mädchenschulen gibt, besuchen die Töchter Privatschulen.

Dass Hedwig Jahnow dann ein Studium anstrebt, lässt sich daraus schließen, dass sie ihre Berufsausbildung in Berlin beginnt. Dabei dürfte auch die oben erwähnte Berliner Verwandtschaft die Wahl erleichtert haben. Hier hat sie wahrscheinlich ihren akademischen Lehrer Hermann Gunkel kennen gelernt, dem sie später ihre große Monographie widmet. Auch die Kontakte zum Allgemeinen Deutschen Lehrerinnen-Verein, für dessen Zeitschrift sie 1909 die neuen preußischen Lehrpläne für das Fach Geschichte darstellt und an dessen 10. Generalversammlung sie im Mai 1907 teilnimmt, knüpft sie wohl während ihres Studiums. (Noch 1928 stellt sie auf einer Frauentagung in Köln die spätere Kasseler Direktorin Johanna Bohnen der uralten Führerin der Frauenbewegung, Helene Lange, vor. Wenn es auch dafür keine Dokumente gibt, so hat Hedwig Jahnow die Kontakte zur Frauenbewegung wohl über die Jahre aufrecht erhalten – auch wenn diese alte Frauenbewegung ihren Schülerinnen manchmal etwas überholt vorkam.)

Nach dem Examen bewirbt sich Hedwig Jahnow um die Stelle einer akademisch gebildeten Oberlehrerin in Marburg - es ist die erste derartige Stelle, die in Marburg eingerichtet wird. Selbstbewusst verlangt sie nach einer höheren Besoldung, als ihr zunächst angeboten wird, und tritt die Stellung erst an, nachdem ihr diese zugestanden wird. (Bei dieser Besoldungsfrage geht es ihr offenbar nicht nur um die Summe, sondern vor allem um die Gleichstellung mit entsprechend ausgebildeten Männern. Die Berechtigung ihres Anspruches wird auch vom Direktor der Elisabethschule unterstützt.) Sie erhält ein Jahresgehalt von 1800 M, dazu kommen 267 M Wohnungszulage. Alle drei Jahre soll dieses Gehalt um 200 M steigen. (Zum Vergleich: Ein kaufmännischer Angestellter erhielt damals ein Anfangsgehalt von etwa 1000 M). Damit ist Hedwig Jahnow eine von rund 500 akademisch gebildeten Oberlehrerinnen im damaligen Preußen – zu dem etwa zwei Drittel des Deutschen Reiches gehörten –; heute gibt es davon allein in Marburg etwa 150.

Die berufstätige Frau

Was bedeutet Berufstätigkeit für eine Frau in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg? Zunächst ist es ein Akt der Emanzipation, ein Weg aus Enge und Eingesperrt sein hin zum Wirken in der Öffentlichkeit und zur Entfaltung der eigenen Persönlichkeit. Wie wichtig Hedwig Jahnow dieser Aspekt ist, zeigt sich an einer Randbemerkung in ihrem Aufsatz über "Die Frau im Alten Testament": "Während im israelitischen Altertum das natürlich und gesund empfindende Volk die tatsächliche Bedeutung der Frau für das Volksleben nicht verkennen konnte, treten in der Periode des Judentums die ursprünglichen Werte des Lebens zurück... Hand in Hand mit dieser hochmütigen Abschätzung der Frau scheint ihre strengere Abgeschlossenheit vom öffentlichen Leben zu gehen... Und die merkwürdige Tatsache, dass gerade die Hingabe an irgendwelche außerhalb der eigenen Person liegende Aufgaben – mögen sie nun auf dem Gebiet der Familie, der Politik, der Religion liegen – mehr geeignet sind, Charaktere hervorzubringen als die sorgfältigste Persönlichkeitskultur, wird uns durch die israelitische Frau bestätigt. So dürfen wir uns nicht darüber wundern, dass hier wie überall in der Welt die Geschichte der Persönlichkeit eine Geschichte der Schmerzen ist."[25]

Auch in ihrem Aufsatz über Caroline von Günderode [26] setzt sich Hedwig Jahnow mit der Rolle der Frau auseinander – sie ist für sie von "Entsagung" und "Selbstbehauptung fremden Einfluss gegenüber" geprägt.

Für eine Frau bedeutet nämlich in der damaligen Zeit Berufstätigkeit auch Verzicht, Verzicht auf Ehe und Familie und damit auch auf einen Partner. Eine "freie Liebe" ist für eine Lehrerin undenkbar. Mit ihrer Verheiratung muss eine Lehrerin ihren Beruf aufgegeben. Hedwig Jahnow selbst hält eine Verbindung von Beruf und Familie für undenkbar - und zwar nicht nur wegen der Doppelbelastung: "Die besondere Disziplin der Beamtin... – das Eingestellt sein auf die Minute, die Tadellosigkeit der äußeren Erscheinung zu frühester Morgenstunde, die Beherrschung eines zwar begrenzten, aber unerbittlich zwingenden Pflichtenkreises verlernt sich nur allzuleicht in den Jahren rein hausfraulicher Tätigkeit... Auf die Teilnahme am öffentlichen Leben, die uns Lehrerinnen mehr und mehr zum Bedürfnis geworden ist, muss sie (sc. die verheiratete Lehrerin) ihres Doppelberufs wegen verzichten; sie erfährt davon höchstens durch die Vermittlung ihres Mannes. So wäre die strebsame und angeregte verheiratete Frau, die keine Berufstätigkeit erhalten hat, die sich aber in ihrer freien Zeit in sozialen und Bildungsvereinen oder in künstlerischer Weise betätigen kann, dieser armen, dem eisernen Muss zweier Welten unterworfenen Frau Lehrerin geistig weit überlegen."[27]

Dennoch ist ihr die Frauenbewegung, die verheiratete und berufstätige Frauen gleichermaßen umfasst, wichtig: " Es besteht eine unverkennbare Gemeinsamkeit all der Frauenkreise, deren Lebensaufgaben nicht im Persönlichen aufgehen, sondern die an der großen Welt der Sachlichkeit aktiv teilnehmen, die ihren Gliedern ein unverwischbares Gepräge und - bei aller nur denkbaren Verschiedenheit von Weltanschauung und Betätigung – ein festes Zusammengehörigkeitsgefühl verleiht. Dieser großen Gruppe steht allerdings die andere der verheirateten und unverheirateten Frauen – und Männer –, die nur im engsten Lebenskreise Aufgabe und Befriedigung findet, fremd gegenüber."[28]

Für sich persönlich findet Hedwig Jahnow die angemessene Lebensform. Da eine große Liebe nicht zur Ehe führt, bleibt sie unverheiratet und zieht 1915 zu der acht Jahre älteren Frieda Staubesand in die Wilhelmstraße 3. Die beiden Frauen führen einen gemeinsamen Haushalt; Frieda teilt die Interessen der Freundin. Sie ist 25 Jahre lang im Vorstand des Vereins "Frauenbildung – Frauenstudium" und arbeitet im Verlag der "Christlichen Welt" mit. 1941 dichtet Hedwig Jahnow für ihre Freundin zum 70. Geburtstag:

Freundin, unter Dornen wie die Rose!
Damals herrschten noch die heitren Lose!
Und der Spruch entbehrte des Gewichts,
Denn von Dornen wußten wir noch nichts.

Aber dann, in jenen bittren Jahren
Hab" ich von den Dornen viel erfahren.
Doch zum Trost für jeden Dornenstich
Gab mir Gott die Rose, gab mir Dich!
Darum will ich, ob auch Dornen stechen
Frohgemut in meinem Herzen sprechen:
"Spende weiter holde Linderung
Liebe Rose, bleib mir ewig jung!"

1942, schon zu Zuchthaus verurteilt, bekennt Frieda Staubesand über dieses Zusammenleben: "Wir hatten... ein schönes anregendes Leben und waren dankbar unseres gegenseitigen Verstehens."

Politische Tätigkeit

Der Zusammenbruch des Kaiserreiches 1918 bringt für Frauen das aktive und passive Wahlrecht. So nimmt es nicht wunder, dass Hedwig Jahnow sich gleich 1918 einer politischen Partei, der Deutschen Demokratischen Partei, anschließt und sich für die Kommunalwahl am 3.3.1919 aufstellen läßt. (Mit zu dieser Liste gehörten so bekannte Marburger wie Professor Dr. Walter Troeltsch und der Bankier Karl Strauss, später vor allem Dora und Martin Rade.) Ein Jahr nach ihrer Wahl in die Stadtverordnetenversammlung wird Hedwig Jahnow am 15.6.1920 in den Magistrat gewählt – "Sie ist, wie der Oberbürgermeister bemerkte, die erste Dame, die in diese Körperschaft einzieht", schreibt die Oberhessische Zeitung am 20.6.1920. (Sie bleibt es auch für lange Zeit.) Als Mitglied des Magistrats gehört sie zahlreichen Ausschüssen an, u.a.:

-  Stellvertretender Beisitzer der Wohnungskommission. Zu ihren Aufgaben gehört die Förderung des Ausbaus von Wohnungen, die Teilung übergroßer Wohnungen, Zuweisung von Wohnraum und die Beschlagnahmung von Wohnungen – bei der damaligen Wohnungsnot in Marburg keine erfreuliche Tätigkeit, wie die Akten belegen! – Kuratorium der Höheren Lehranstalten

  • Ausschuss für die Errichtung einer Haushaltungsschule

  • Ausschuss für die Errichtung eines Berufs-(Beratungs-) Amtes

  • Armenausschuss

  • Ausschuss zum Schutz der Stadt Marburg gegen Verunstaltung

  • Friedhofsausschuss

Deutlich liegt der Schwerpunkt ihres Engagements auf sozialem Gebiet; für die Elisabethschule dürfte ihre Mitwirkung im Kuratorium für die Höheren Lehranstalten besonders folgenreich sein, weil in diese Zeit die ersten Vorschläge für den Ausbau der Schule zu einer "Vollanstalt" fallen. Das Magistratsmitglied nimmt an den ersten Verhandlungen persönlich teil.

Mit der zweiten Kommunalwahl 1924, bei der die Deutsche Demokratische Partei nur noch einen Sitz erhält, findet Hedwig Jahnows politische Tätigkeit ein Ende.

Mehrere Jahre hindurch ist sie - natürlich wieder als einzige Frau - im Vorstand des "Vereins Marburger Bühne", der sich die Förderung von Theatergastspielen in Marburg zur Aufgabe gemacht hat. Allmählich gelingt es dem Verein, regelmäßige Gastspiele der Gießener Bühne zu organisieren und damit das Kulturleben Marburgs zu bereichern.

Auch die neugegründete Volkshochschule unterstützt sie durch eine Vortragsreihe (samstags abends von 8–9 Uhr!) über "Die wichtigsten Fragen des Lebens Jesu im Lichte der Geschichtsforschung". Dazu schreiben sich 24 Hörer ein und die Dozentin erhält ein Honorar von 100 DM...

Es ist schon erstaunlich, was sie neben ihrem Beruf leistet!

Wissenschaftliche Arbeit

Beeindruckend ist die Liste der Aufsätze, die Hedwig Jahnow zwischen 1909 und 1925 verfasst – vor allem deren thematische Vielfalt. Sie schreibt über die Lehrpläne in Geschichte, Probleme des Religionsunterrichts, soziologische und religions- geschichtliche Fragestellungen, nimmt Stellung zu Fragen der Zeit ("Die Entwicklung der Staatsgesinnung unter den Hohenzollern" 1915) [29] befasst sich mit F. Creuzer und Caroline von Günderode – fast jedes Jahr erscheint ein Aufsatz von ihr. Diese Aufsätze sind – bei aller Zeitbedingtheit – wegen ihres geschliffenen Stils und der präzisen Problemdarstellung auch heute noch lesenswert. Mit klarem Blick erkennt und benennt die Verfasserin das Wesentliche – ob es sich nun um das Verhältnis des Religions- zum Konfirmandenunterricht oder um die Beziehung des Geschichts- zum Deutschunterricht handelt.

Ihr wissenschaftliches Werk gipfelt in der umfangreichen, auch heute noch nicht überholten Monographie "Das hebräische Leichenlied im Rahmen der Völkerdichtung".[30] In dieser Arbeit weist sie nicht nur ihre hohe Begabung für wissenschaftliche Arbeit, sondern nebenbei auch profunde Kenntnis in den alten Sprachen (Latein, Griechisch, Hebräisch) nach, die ihr eigene textkritische Entscheidungen und eigene Übersetzungen der alttestamentlichen Lieder erlauben: Diese werden der hebräischen und der deutschen Sprache gerecht. Auf dem Höhepunkt ihrer nebenberuflichen wissenschaftlichen Laufbahn wird ihr 1926 für diese Arbeit der Ehrendoktor der Theologischen Fakultät Gießen verliehen – dort hatte ihr akademischer Lehrer Hermann Gunkel seit 1907 den Lehrstuhl für Altes Testament inne. Sie ist – natürlich! – die erste Frau, die in Marburg einen Doktortitel im Fachgebiet Altes Testament erhält. Die Monographie wird nicht nur von ihrem Mentor W. Baumgartner in der Deutschen Literaturzeitung (Hrsg. vom Verbande der deutschen Akademien der Wissenschaften) und der Neuen Züricher Zeitung positiv besprochen, sondern auch von dem renommierten Alttestamentler Otto Eißfeldt in der angesehenen Theologischen Literaturzeitung, in der es heißt: "... ein weitausholender Beitrag zur Volkskunde und zur vergleichenden Literatur-Geschichte... Dank für den wertvollen Beitrag zur isr. Literaturgeschichte, den uns die Verf. geboten ... und (die) Bitte, dieser Erstlingsarbeit weitere Beiträge folgen zu lassen."[31]

Leider hat Hedwig Jahnow dieser Bitte nicht entsprochen; sie ist einen anderen Weg gegangen. Mit der Erwähnung in der zweiten Auflage der RGG ist dieses Kapitel ihres Lebens abgeschlossen.

Die stellvertretende Direktorin

Hedwig Jahnows pädagogische Laufbahn findet ihren Höhepunkt 1925 in der Ernennung zur stellvertretenden Direktorin und Oberstudienrätin - mehr konnte eine Frau im Schuldienst damals kaum werden. Es muss für sie eine besondere Genugtuung gewesen sein – hatte sie doch noch in ihren Anfangsjahren erleben müssen, dass ein Rektor Lehrer, die "eine Frauenherrschaft als angenehm empfinden würden", als "Feministen" beschimpft... Sicher hat sie sich mit ihrer Karriere bei den Kollegen nicht nur Freunde gemacht. Wenn auch von Hedwig Jahnows Wirken an der Elisabethschule wenig erhalten ist, so hat sie doch ihren Schülerinnen einen unauslöschlichen Eindruck hinterlassen; ihr Humor, ihre Intelligenz, ihre künstlerischen und mimischen Fähigkeiten sind bei ihnen unvergessen. Die Schulfeste bereichert sie mit eigenen Dichtungen: Für die 50-Jahr-Feier der Schule schreibt sie ein ganzes Theaterstück "Das Zauberwort"!

Und zum Abschied dichtet sie 1936 für die Abiturientinnen:

Und wenn sich schließt der Schule Haus,
das Leben stellt noch Fragen.
Man fasse sich und lächle nur
des ungewohnten Falles
und rufe, wie beim Abitur,
ist das denn wirklich alles?

Die letzten Jahre

Als politisch bewusster Mensch dürfte Hedwig Jahnow das Hereinbrechen des Nationalsozialismus nicht überrascht haben. Schon 1920 gab es in Anzeigen in der Oberhessischen Zeitung eine üble Kampagne gegen den Spitzenkandidaten der Deutschen Volkspartei, den "Juden Rießer". Dieser, der Gründer des Hansabundes Jakob Riesser, war wie sie getaufter Jude. Das hat sie wohl darin bestärkt, die eigene jüdische Herkunft zu verbergen. Ihre Schwester Wally, die von ihr über längere Zeit finanziell unterstützt wurde, durfte sie deshalb mit ihrem Sohn nicht in Marburg besuchen.

Die erste Entlassungswelle 1933 übersteht Hedwig Jahnow; da sie 1914 bereits Beamtin war, ist sie vom Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums nicht betroffen.

Dennoch – auch sie muss der neuen Zeit Tribut zollen: Ausflüge in die Rhön, Wanderungen mit Übernachtung im Zelt, wozu die damals 54-jährige weder Neigung noch Begabung hatte.

Da sie, wie das Schulsekretariat meldet, von "vier volljüdischen Großeltern" abstammt, wird sie zum Jahresende 1935 beurlaubt, zum 31.12.1936 in den Ruhestand versetzt. Als Ruhegehalt erhält sie 35% ihrer Dienstbezüge (anstelle der zustehenden etwa 60%). 1942 gibt sie ihre Pension mit 265 RM an.

Freunden und Bekannten gegenüber stellt sie diese Beurlaubung tapfer als eine neue Chance zu eigener wissenschaftlicher Arbeit dar; so arbeitet sie regelmäßig in der Universitätsbibliothek, bis Juden auch dies verboten wird. Zunächst unternimmt sie jedoch – das war ihr damals noch möglich – eine längere Reise nach Italien (neben englisch und französisch spricht sie auch italienisch). Erst Ende 1938, als der Verfolgungsdruck zunimmt, versucht sie, nach England zu emigrieren, muss dann aber erfahren, dass England nur junge Emigranten aufnimmt. Vielleicht spielt für ihr langes Zögern auch eine Rolle, dass ihre Freundin Frieda ohne sie völlig mittellos dastünde und sie selbst in Deutschland noch zwei alternde Schwestern hat. Sie dichtet:

Im Restaurant

Leg auf den Tisch die schlüssigen Beweise,
Bring einen saubren Ahnenpass herbei,
Sonst lass uns reden von der Liebe leise,
wie einst im Mai.

Gib mir die Hand, dass ich sie heimlich drücke,
Denn wenn man's sieht, so tut sich allerlei,
Man tauscht heut nicht mehr straflos Liebesblicke
Wie einst im Mai.

Von Spitzeln wimmelt es in den Lokalen,
Gemischte Paare sind hier vogelfrei -
Ich steh jetzt auf, Du kannst die Zeche zahlen,
Wie einst im Mai.

Nur wenigen ihrer Verwandten gelingt die Flucht- ihr Neffe Alfred entkommt in letzter Minute aus der Tschechoslowakei nach England, ein anderer Neffe emigriert mit Hilfe von Max Schmeling geliehenen Dollars in den letzten Zufluchtsort, Shanghai.

Ihre Nichte Edith flieht mit Mann und zwei Kindern nach Holland; die ganze Familie wird von dort deportiert und umgebracht. 5) Hedwig Jahnows jüngste Schwester Alice wird, nachdem sich ihr "arischer" Ehemann hat scheiden lassen, ebenfalls deportiert und ermordet. Ihre Schwester Wally bricht völlig zusammen, nachdem sie die zunehmende Recht- und Schutzlosigkeit erlebt; sie stirbt in einer jüdischen Nervenklinik, sechs Wochen bevor die Insassen deportiert werden.

Auf dem Hintergrund dieser Schicksale ist Hedwig Jahnow in Marburg noch geborgen; sie darf in der Wohngemeinschaft mit ihrer Freundin wohnen bleiben – wenn auch mit Judenstern an der Tür –, sie hat Freunde, die sie mit Besuchen und Lebensmitteln unterstützen. Unbekümmert gibt sie Freunden gegenüber zu, "Feindsender" zu hören und ahmt Hitler und Goebbels täuschend echt nach. Über die politischen Verhältnisse dichtet sie:

Ja, ich habe Dir verzieh'n,
sprach zu Hitler einst Stalin,
bin ich röter, bist Du brauner,
bin ich Schurke, bist Du Gauner,
kurz gesagt, wir sind zwei Luder,
darum sei mein Freund und Bruder.

Lügen nicht die Sowjets immer?
Schuldbeschwert ist ihre Schale
oder sind die Nazis schlimmer
als die Internationale?
War der braune Freund von neulich
mehr noch als der rote greulich?

Jahr und Monde sind verflogen
bis das Blättchen sich gewendet,
wer hat schließlich wen betrogen,
wer hat den Vertrag geschändet?

Das soll künf'gen Doktoranden,
die das Chaos überleben
wenn sie mit der Arche landen
ein willkomm'nes Thema geben.

Es gibt immer wieder kleine Möglichkeiten, dem Druck zu entfliehen: Hedwig Jahnow kann während des Krieges noch einmal in Berlin eine Freundin besuchen, dort den Judenstern ablegen und ein Konzert besuchen. Die Schwester dieser Freundin, obwohl überzeugte Anhängerin des Regimes, verrät nichts. So schreibt Hedwig Jahnow über ihr Leben noch am 24.3.1942 an das Patenkind ihrer Freundin: "Möge alles so bleiben, dann kann man das Leben einigermaßen aushalten." Dennoch rechnet auch sie selbst mit Abtransport; verschiedentlich ist bezeugt, dass sie sich Gift besorgt hat. Noch hofft sie aber, überleben, alles überstehen zu können und spottet:

Die Kleiderkarte

Heutzutage kriegt man leider
Nur auf Punkte Wäsch' und Kleider.
Die Methode ist barbarisch:
Es bekommt sie nur, wer arisch.

Und was machen denn die andern?
Soll'n wie auf der Himmelswiese
Hüllenlos sie nur noch wandern?
Ja, es leben eben diese
Hierzuland' im Paradiese.

Verhaftung, Verurteilung, Deportation

Das im ganzen doch gesicherte Leben findet am 8. Mai 1942 ein jähes Ende: Die beiden Freundinnen werden in der Wilhelmstraße wegen Abhörens von Fremdsendern verhaftet und nach Kassel ins Untersuchungsgefängnis gebracht.

Wie ist es dazu gekommen?

Während des Krieges mussten die beiden Freundinnen eine Studentin als Untermieterin aufnehmen. Offenbar gab es gelegentlich Streit über angemessenes Verhalten; deshalb berichten diese Studentin und zwei Freundinnen ihrem Professor, einem bekannten Marburger Mediziner und Rassebiologen, von den mitgehörten Fremdsendern. Dieser überzeugt die drei davon, dass es ihre staatsbürgerliche Pflicht ist, Anzeige zu erstatten, so dass es am 17.6.1942 zu dem Prozess kommt. Aufgrund der Zeugenaussagen und des Geständnisses der beiden Frauen wird die 71-jährige Frieda Staubesand zu 1½ und Hedwig Jahnow zu 5 Jahren Zuchthaus verurteilt.

In der Urteilsbegründung heißt es: "Seit Anfang des Jahres 1941 hörte die Angeklagte, oft in Anwesenheit ihrer Freundin Staubesand, die Sendungen ausländischer Sender ab. Insbesondere hörte sie die Sendungen des schweizerischen Senders Beromünster, und zwar musikalische Sendungen als auch den Nachrichtendienst. Sie stellte das Gerät gewöhnlich abends in der Zeit zwischen 22½ und 23 Uhr auf den Sender Beromünster ein und hörte dann meist einen Teil des Nachrichtendienstes und ein am Schluss der Sendung gespieltes Lied. Sie hörte in der Zeit von Anfang 1941 bis zu ihrer am 8. Mai 1942 erfolgten Festnahme etwa einmal in jeder Woche Sendungen des Senders Beromünster ab. Außerdem hat sie gelegentlich Sendungen des englischen Rundfunks abgehört.... Bei dieser Sachlage hat sie aber dadurch, dass sie den Nachrichtendienst des Senders Beromünster in Anwesenheit der Staubesand eingeschaltet hat, Nachrichten eines ausländischen Senders verbreitet.... Bei den abgehörten Nachrichten handelt es sich auch um solche, die geeignet sind, die Widerstandskraft des deutschen Volkes zu gefährden (sic!). Die Nachrichtensendungen des Senders Beromünster, der außer den schweizerischen Ortsmeldungen auch die Nachrichten zahlreicher am Krieg beteiligter Staaten aussendet, sind schon deshalb, weil auch der Nachrichtendienst der Feindstaaten gesendet wird, grundsätzlich geeignet, die Widerstandskraft des deutschen Volkes zu schädigen, ohne dass im einzelnen festgestellt werden muss, welchen Inhalt die im Einzelfall verbreitete Sendung gehabt hat.... Bei der Strafzumessung war davon auszugehen, dass im dritten Kriegsjahr mit allen Mitteln verhindert werden muss, dass feindliche Nachrichten ins Reichsgebiet gelangen und möglicherweise die Siegeszuversicht der deutschen Volksgenossen gefährden.... Bei der Angeklagten kam auch erschwerend hinzu, dass sie als Jüdin alle Veranlassung hatte, sich in jeder Weise zurückzuhalten und die deutschen Gesetze genauestens zu beachten. Zu beachten war auch, dass sie ihre Tat über ein Jahr hindurch fortgesetzt hat, obwohl ihr die Strafbarkeit ihres Tuns bekannt war, und dass sie erst durch die Festnahme von einer weiteren Fortsetzung ihres verbrecherischen Treibens abgehalten wurde. Als besonders verwerflich schließlich hat das Sondergericht den Umstand angesehen, dass die Angeklagte als geistig hochstehende Person, die ihrer Freundin weit überlegen war, durch ihr Tun diese Freundin bewusst gleichfalls der Gefahr ausgesetzt hat, schwer bestraft zu werden. Bei dieser Sachlage musste gegen die Angeklagte, obwohl sie unbestraft und schon 63 Jahre alt ist, auf eine Zuchthausstrafe von fünf Jahren erkannt werden.

Auch im Krieg gab es die Möglichkeit, über das Rote Kreuz Briefe in Feindesland zu senden. Diese Briefe bestanden aus sehr dünnem Papier; der Absender beschrieb dei Vorder-, der Empfänger die Rückseite, so dass der Absender auch sicher war, dass der Adressat seinen Brief erhalten hatte.
Dieser Brief ist eines der letzten schriftlichen Dokumente Hedwig Jahnows, ihr von Marburg ins Zuchthaus Ziegenhain nachgesandt. - Beim Absender fehlt aber jeder Hinweis auf das Zuchthaus, so dass der Empfänger seine Tante in einer "Judenwohnung" vermutete.

Auf Ehrverlust konnte gegen die Angeklagte nicht erkannt werden, da sie als Jüdin keine Ehre im Sinne dieser Bestimmung hat...."

Die beiden Freundinnen werden zur Strafverbüßung ins Zuchthaus Ziegenhain gebracht. Immer noch versucht man ihnen entgegenzukommen - Hedwig Jahnow darf in der Bibliothek arbeiten, ein Verwandter ihrer Freundin lässt sich als Pfarrer ans Zuchthaus Ziegenhain versetzen, um ihnen beizustehen.

Da erkrankt Frieda Staubesand im Zuchthaus schwer; am 21.8. wird sie todkrank in die Medizinische Universitätsklinik nach Marburg verlegt. Am 27.8.erreicht Hedwig Jahnow die Verfügung, dass sie am 7.9. nach Theresienstadt "evakuiert" wird. Für eine Woche erhält sie in Marburg die Gelegenheit, ihren Haushalt aufzulösen; währenddessen muß sie in der "Judenkommune" in der Alten Kasseler Straße wohnen. Mutige Freunde und Bekannte, die deswegen auch Schwierigkeiten mit der Gestapo in Kauf nehmen, besuchen sie, versuchen sie aufzurichten und mit zusätzlichen Lebensmitteln zu helfen. Da stirbt am 2.9. Frieda Staubesand. Es wird Hedwig Jahnow nicht gestattet, an der Beerdigung der Freundin teilzunehmen. Marie-Luise Hensel, die Vertraute in Marburg, die sich um eine Besuchserlaubnis in Ziegenhain bemüht hat, wird an der Schweizer Grenze bei dem Versuch, Juden zur Flucht zu verhelfen, erschossen. (Noch 1946 wird ihr Name und ihre Anschrift, beides falsch geschrieben, Hedwig Jahnows Neffe als letzte Adresse seiner Tante genannt...)

Von ihrem Hausstand gibt Hedwig Jahnow einen Teil zur Aufbewahrung an Freunde weiter; nach dem Krieg erhält ihr Neffe auf diesem Umweg wenigstens ein Andenken an sein Elternhaus. Wo die Bibliothek und vor allem der wissenschaftliche Nachlass geblieben sind, ist unbekannt.

Im Kreise von Freunden verbringt Hedwig Jahnow die letzten Stunden in Marburg, am 7.9.1942 wird sie mit den letzten Marburger Juden nach Theresienstadt deportiert. Noch hat sie den festen Willen durchzuhalten. Über das Rote Kreuz erhält sie auch ein wenig (moralische) Unterstützung aus Marburg. Dann aber lassen ihre Kräfte nach; am 22.3.1944 stirbt Hedwig Jahnow an Auszehrung – sie ist verhungert.

Ihre Urne trägt die Nummer 22 710.

Ausblick

Es sieht so aus, als ob die widerliche Denunziation und die wichtigtuerischen Anzeige der drei Studentinnen Hedwig Jahnow den Tod in Theresienstadt gebracht haben. Aber dieses Ende stand in dem Augenblick fest, als das Schulsekretariat der Elisabethschule am 14. Dezember 1935 ganz korrekt meldet: Die Oberstudienrätin Jahnow stammt von 4 volljüdischen Großeltern ab (siehe Scans der Aufforderung zur Meldung und dieselbe unten).

Man hat sich eben nichts dabei gedacht.

[19]Ascher Inowraclawer: De metaphorae apud Plautum usu. Dissertatio inauguralis philologa quam amplissimi philosophorum ordinis. Rostochii MDCCCLXXVI S. 95
[20]Kunzes Kalender für das höhere Schulwesen Preussens. II. Teil. Schuljahr 1898/99 Breslau 1898. S. 56
[21]Dazu: Ernest Hamburger, Juden im öffentlichen Leben Deutschlands. Tübingen 1968. S. 58 ff
[22]Er veröffentlicht eine Schrift unter dem Namen "Alfred Jahnow". In dieser Form erscheint sein Name auch in "Kunzes Kalender für das höhere Schulwesen in Preussen".
[23]Hierzu und zu dem familiären Hintergrund: Alfred Joachim Fischer: In der Nähe der Ereignisse. Berlin 1991.
[24]Oberleutnant d. L. Jahnow: Meine Friedens- und Kriegserlebnisse als türkischer Fliegeroffizier. Motor. Februar 1913
[25]Hedwig Jahnow. Die Frau im Alten Testament. In: Die Frau. 21. Jahrgang. Berlin 1914. S. 352-358, 417-426
[26]Hedwig Jahnow: Friedrich Creuzer und Caroline von Günderode. In: Die Frau. 27. Jahrgang. Berlin 1919. S. 75-82, 112-121
[27]Hedwig Jahnow: Noch einmal: Die verheiratete Lehrerin. In: Frauenbildung. Zeitschrift für die gesamten Interessen des weiblichen Unterrichtswesen. 15. Jahrgang. Leipzig/Berlin 1916. S. 141, 146
[28]Hedwig Jahnow: Frauen contra Frauen? In: Die christliche Welt. 45. Jahrgang 1931. Sp. 681-683
[29]Hedwig Jahnow: Die Entwicklung der Staatsgesinnung unter den Hohenzollern. Festrede, gehalten am 21. Oktober 1915. In: Neue Jahrbücher für das klassische Altertum, Geschichte und deutsche Literatur. 2. Abtlg. 18. Band. Leipzig 1915. S. 512-522
[30]Hedwig Jahnow: Das hebräische Leichenlied im Rahmen der Völkerdichtung. Gießen 1923 = Beihefte zur Zeitschrift für alttestamentlichen Wissenschaft 36
[31]In: Theologische Literaturzeitung 1924 Nr. 4/5 Sp. 81/82

Martha Strauß (1892–1979)

Personalkarte
Brief von Martha Strauß aus London

Von Dr. Benno Keßler

Studiendirektor im Ruhestand, war dreißig Jahre Lehrer an der Elisabethschule für Deutsch und Latein. Fünfzehn Jahre lang arbeitete er als Fachleiter für Deutsch am Studienseminar Marburg, gest. 2004.)

Vorbemerkung

Es ist wohltuend und erfreulich, dass in der Festschrift der Elisabethschule zum 100-jährigen Bestehen im Jahre 1979 auch des Wirkens und des Schicksals der beiden jüdischen Lehrkräfte der Schule gedacht wurde. Dabei fällt jedoch auf, dass gegenüber den ausführlichen Darlegungen über die Oberstudienrätin Hedwig Jahnow, der Bericht über Frau Martha Strauß äußerst kurz gehalten ist. Das hat innere und äußere Gründe, die im Laufe dieser Darstellung einsichtig werden mögen. Die äußeren Ursachen, das erwiesen unsere erneuten Nachforschungen, liegen in der Spärlichkeit noch erreichbarer, der Vernichtung entgangener Unterlagen. Während z. B. über Frau Jahnow wichtige Daten gespeichert sind in der kleinen "Kartei über jüdische Mitbürger der Stadt Marburg", angelegt noch in der NS-Zeit und heute zugänglich im Stadtarchiv Marburg, findet sich dort über Frau Strauß keinerlei Nachricht. Auch beim  Einwohnermeldeamte Marburg finden wir keine Spur von ihr aus der Vorkriegszeit. Das Amt für Statistik und Einwohnerwesen Frankfurt meldet die Zerstörung sämtlicher Unterlagen für die Zeit vor 1945 durch Kriegseinwirkung; ebenso das Stadtarchiv und das Jüdische Museum und Archiv in Frankfurt. Frau Strauß ist bereits 1933/34 jener sehr frühen und intensiven Verfolgungswelle in Hessen zum Opfer gefallen, die auch alle zugänglichen amtlichen Spuren beseitigte.

[Transkription des Briefes von Martha Strauß:

London Diocesan Lodge, 21, Francis Street, London S. W. I, 19. April 1949

Frau Dr. Hillmann
Regierungs- u. Schulrätin, Elisabethschule, Marburg/Lahn

Sehr geehrte Frau Dr. Hillmann,
endlich scheint es nun wahr zu werden, nach-
dem ich so lange auf die Rückkehr warten musste.
Trotz aller Bemühungen, meine Abreise zu beschleuni-
gen, ist es mir leider nicht möglich, am Beginn des
Schuljahres in Marburg zu sein, denn ich warte
noch immer auf eine letzte Bescheinigung, ausser-
dem konnte ich mir nur eine Platzkarte für den
4. Mai sichern, ohne die man weder Zug noch
Schiff nach Deutschland benutzen kann, und alle
Züge nach Westeuropa sind schon auf Wochen
hinaus ausverkauft; diese Karte bekam ich nur durch
eine Reisebureau, da jemand die Reise aufgeben
musste. Hoffentlich bereitet Ihnen meine unfreiwillige
verspätete Ankunft nicht zu grosse Schwierigkeiten.
Ich hoffe bestimmt, am 5. Mai in AMrburg ein-
zutreffen.

Ergebenst
Martha Strauss]

Frau Jahnows Gestalt wird vor allem deutlich aus ihren eigenen Veröffentlichungen wissenschaftlicher, künstlerischer und pädagogischer Art. Frau Strauß dagegen ist infolge ihrer mehr reproduktiven Grundanlage und ihres zurückhaltenden Wesens trotz beachtlicher wissenschaftlicher Leistungen und großen pädagogischen Einsatzes der Öffentlichkeit weniger bekannt geworden.

Mein Bericht möchte eine späte Wiedergutmachung sein durch Mehrung des Wissens über sie und Bewahrung der Erinnerung an sie, bei ihren noch lebenden Kollegen und Bekannten ebenso, wie bei den jetzigen und künftigen Schülern und Lehrern der Elisabethschule. Ich erlaube mir daher, Daten, Fakten und Einzelheiten ihres Lebensganges so ausführlich wie möglich vorzustellen.

Und eine weitere Aufgabe möchte der Bericht erfüllen: Frau Jahnows Leidensweg beginnt erst 1942, zu Anfang der radikalen "Endlösung der Judenfrage", mit Verhaftung, Deportation und Tod im KZ. An ihrem Schicksal erleben unsere Schüler heute konkret und schulnah Holocaust.

Frau Strauß dagegen ist eine von den 250.000 jüdischen Menschen, die zwischen 1933 und 1941 ihr deutsches Vaterland verlassen mussten. Wenn von Emigranten und Exil geredet oder geschrieben wird, stehen vor allem Prominente, die schon vor ihrer Flucht als Wissenschaftler, Schriftsteller oder Künstler über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt waren, im Blickfeld von Forschung und Dokumentation. Dabei fiel es gerade ihnen meist weniger schwer, sich im Exil zurechtzufinden. Ganz anders war es mit den sogenannten kleinen Leuten: Handwerkern, Ladenbesitzern, Angestellten, Beamten, Freiberuflern aller Sparten. Deren Überlebenskampf in den Ländern des Exils verlief ungleich schwieriger. Viele sind, alleingestellt in einer fremden Kultur, in einem wenig freundlichen Umfeld, an der harten Aufgabe zerbrochen. Erst in den letzten Jahren hat die Forschung sich auch dieser Gruppe verstärkt zugewendet. (Wolfgang Benz, Hrsg. Das Exil der kleinen Leute. Alltagserfahrungen deutscher Juden in der Emigration. München 1991. und Wolfgang Benz, Hrsg. Dimension des Völkermords. Die Zahl der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus. München 1991) Steht Frau Jahnow als schulnahes Beispiel für den Holocaust, so dürfen wir in Frau Straußens Lebensweg ein eigenes Muster von Selbstbehauptung im "Exil der kleinen Leute" und im Wagnis der Rückkehr sehen.

Nach Kriegsende sind nur wenige der jüdischen Flüchtlinge nach Deutschland zurückgekehrt. Die Mehrzahl der einstigen deutschen Juden lehnte es ab, das Land noch einmal zu betreten, das sie vertrieben und ihre Angehörigen ermordet hatte. Frau Strauß wagte die Rückkehr. Hier liegt die dritte Aufgabe, die mein Bericht erfüllen möchte: Frau Straußens Rückkehr und Wiedereinlebensversuch als Beitrag zur Erhellung der besonders problemgeladenen Situation eines jüdischen Remigranten in das Nachkriegsdeutschland.

Es geht um den Irrtum jener Blauäugigkeit, die meint, mit materieller Wiedergutmachung und äußerer Rehabilitierung seien alle Schäden behoben, alle Wunden geheilt und das schlechte Gewissen beruhigt.

So wird an den unterschiedlichen Schicksalen der beiden ehemaligen Mitglieder unserer Schule jene verzweifelt-ausweglose Situation jüdischer Menschen im NS-Staat deutlich, die nur die drei grausigen Zukunftsperspektiven zuließ: Emigration und Exil, Deportation und Tod im KZ oder Selbstmord als Ausweg.Es scheint als könne nicht oft genug auf jene Verbrechen hingewiesen werden, zumal in einer Zeit, da, fast mitten im hochzivilisierten Europa, Vertreibung und Mord aus ethnischen Gründen sich wiederholen und die Trommeln zum Marschtritt radikaler Unbelehrbarer aufs neue gespenstisch durch unsere Straßen hallen, und das — trotz Auschwitz.

Frühe Lehrtätigkeit und Entlassung

Erst mit dem Jahr 1919 taucht der Name Martha Strauß in der Personalakte der Elisabethschule auf:

  • 1919/20 Referendariat an der Schillerschule in Frankfurt. Ernennung zur Studienassessorin

  • bis 1925 Unterrichtstätigkeit als Assessorin an der gleichen Schule

  • 1925 bis 1929 Lehrkraft an der Bettinaschule und der Viktoriaschule in Frankfurt

  • 1.1.1929 Ernennung zur Studienrätin und Beamtin auf Lebenszeit

  • Ostern 1929 Versetzung an die Elisabethschule in Marburg, wohl zur Verstärkung der wissenschaftlich ausgebildeten Lehrkräfte für den Ausbau der Schule durch gymnasiale Oberstufe und Abiturabschluss.

Über die Zeit vor 1919 liegen bisher keine Belege vor. Ihr Geburtsdatum errechnen wir aus den Angaben ihres Pensionierungsbescheides: am 24.9.1960 hatte sie das 68. Lebensjahr vollendet. Danach müsste sie am 24.9.1892 geboren sein. Geburtsort: wohl Frankfurt oder Umgebung. Familiäre Herkunft, Studium und genaue Angabe der Studienfächer bleiben ungeklärt. An den Schulen war sie meist mit Latein und Erdkunde eingesetzt, in der Unterstufe gelegentlich auch mit Geschichte und Deutsch.

Zu den Jahren ihrer ersten Tätigkeit an der Elisabethschule nehmen wir als illustrierende Hilfe obiges Foto: Die Abiturfeier der OI vom 20.2.1931 ist eben zu Ende; die Abiturientinnen und die Lehrkräfte der Klasse stellen sich zum Erinnerungsfoto. Für uns ist die Aufnahme wertvoll als einzig auffindbares Bild von Frau Strauß aus der Zeit vor ihrer Vertreibung. (Näheres zum Foto siehe dort). Ganz rechts, stehend, weil wohl die jüngste Lehrerin: Frau Strauß, etwa im 39. Lebensjahr. Sie ist gerade zwei Jahre an der Schule und hat eben hier ihre erste Klasse in Latein erfolgreich durchs Abitur geführt. Für eine junge Lehrerin ein Anlass zu Stolz und Genugtuung, zumal sie kurz vor ihrer Versetzung nach Marburg zur Studienrätin und Beamtin auf Lebenszeit ernannt worden war: Für jeden Lehrer ein erster Höhepunkt in seiner Laufbahn und mit der Gewissheit einer beruflich gesicherten Zukunft ein Grund zur Freude und zum Feiern. - Nicht so Frau Strauß. Als einzige scheint sie die allgemeine Hochstimmung nicht zu teilen. Ihre Züge sind ernst, ihr Blick, etwas verhangen, geht an all den Feiernden vorbei und über den festlichen Raum hinaus. Es ist, als bedränge sie eine Vorahnung von all dem Schrecklichen, das draußen am politischen Gewitterhimmel der Zeit sich zusammenbraut. Ihre schlimmen Ahnungen, die sie vielleicht mit ihrer Kollegin Jahnow ausgetauscht haben mag, haben nicht getrogen. Schlimmer und früher als vorauszusehen, trifft sie das Unheil. Nur noch zwei Jahre kann sie ihrem erwählten und geliebten Beruf nachgehen, immer noch in der Hoffnung, als christlich getaufte Jüdin glimpflicher davonkommen zu können. Noch im Jahr der NS-Machtergreifung ist sie im "Jahresbericht der Elisabethschule für das Jahr 1933" mit voller Stundenzahl in den Fächern Latein, Erdkunde und Geschichte eingesetzt. Im zweiten Halbjahresplan desselben Jahres ist ihr Name bereits aus den Akten verschwunden. Der Jahresbericht 1934 enthält dann unter der Rubrik "Personalveränderungen" folgende Zeilen: 

"Frau Martha Strauß wurde nach § 3 des Beamtengesetzes ab 1.1.1934 aus dem Schuldienst entlassen."

Ein zunächst fast harmlos klingender Satz, über den mancher Leser des Jahresberichtes unbeeindruckt hinweggelesen haben mag. Für die Betroffene aber ein Zukunft und Leben urplötzlich verändernder Schicksalsschlag. Hinter dem zitierten _ 3 verbirgt sich der in Hessen schon früh durchgesetzte Arierparagraph (zwei Jahre vor den berüchtigten Nürnberger Rassegesetzen von 1935), nach welchem nichtarische Personen aus dem Staatsdienst zu entfernen waren. Seltsamerweise wird ihre jüdische Mitkollegin Frau Jahnow von dieser "Säuberungswelle" nicht getroffen; sie bleibt an der Schule, sie bleibt sogar Vertreterin des Direktors, bis sie 1936 in den Ruhestand versetzt, nicht entlassen wird. Der Grund dafür ist eine Ausnahmeregelung für Kriegsteilnehmer und Beamte von vor 1914. Aber 1942 trifft auch sie jüdisches Schicksal unbarmherzig: Verhaftung, Deportation, Konzentrationslager Theresienstadt; in der oben erwähnten kleinen Kartei des Stadtarchivs über "Jüdische Mitbürger der Stadt Marburg" steht in winziger und nur schwach lesbarer Bleistiftnotiz als letzte Auskunft: "In Theresienstadt verstorben"; einen deutlicheren Ausdruck für das grausige Geschehen hat der Schreiber von damals wohl nicht gewagt. Frau Strauß dagegen wird schon Ende 1933 aus dem Schuldienst entlassen und sieht keine andere Überlebensmöglichkeit als die Flucht über die Grenze, die Emigration.

Nach ihrer fristlosen Entlassung sucht sie zunächst an Privatschulen im Raum Frankfurt ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Als auch diesen die Beschäftigung nichtarischer Lehrkräfte verboten und die Verfolgung immer bedrohender wird, setzt sie sich nach England ab, um sich im Ausland eine neue Existenz aufzubauen. Das Jahr der Flucht ist nicht bekannt.

"Exil" in England

  1. In dem bereits von Flüchtlingen überlaufenen Land muss Frau Strauß zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes ganz unten anfangen. In ihrem 42. Lebensjahr nimmt sie in Birmingham eine Stelle als Haushaltshilfe, sprich Dienstmädchen, an, vielleicht, weil ein kleines Zimmer im Lohn enthalten und damit die außerordentlich schwierige Frage der Unterkunft vorerst gelöst war.
     

  2. Nach Kriegsbeginn finden wir sie ab April 1940 für eineinhalb Jahre als kriegsgefangene Deutsche in einem englischen Internierungslager unter ungewohnter körperlicher Arbeit. In den Erinnerungen vieler Emigranten wird auf die Ironie verwiesen, die darin lag, dass in den englischen Internierungslagern nach Kriegsbeginn Nazis, Antifaschisten, Kriegsgefangene und Juden, also Täter und Opfer undifferenziert als enemy aliens hinter Stacheldraht zusammengesperrt wurden. Die Behörden scherten sich nicht darum, wer zu welcher Gruppe gehörte. Die Tätigkeit als Übersetzerin bringt einige Erleichterung und schließlich die Entlassung aus dem Internierungslager.
     

  3. Ende 1941 Wiederaufnahme ihrer Arbeit als Haushaltshilfe in Birmingham. Dazwischen laufend Bemühungen um eine ihrer pädagogischen Ausbildung entsprechendere Tätigkeit.
     

  4. 1942 darf sie in den Sommerferien einen "vacation course in education" an der Universität Oxford besuchen.
     

  5. 1942 bis 1944 praktische Einarbeitung in das englische Schulwesen an einer kleinen Private Boardingschool (Internatsschule).
     

  6. Ihre langen und zähen Bemühungen um eine pädagogische Tätigkeit an einer Höheren Schule haben, wohl auch infolge des allgemeinen Lehrermangels im Nachkriegsengland, Erfolg. Sie wird Lehrkraft am  St. Stephan's College North Foreland, near Brodstaires 1944 - 48. Ob sie inzwischen auch die englische Staatsbürgerschaft erlangt hat, ist unbekannt.

Wir sehen aber voll Bewunderung, mit welcher Zähigkeit, Willenskraft und Zielstrebigkeit sie sich tatsächlich im fremden Land eine neue Existenz geschaffen hat. Nicht sichtbar sind die Not, die Sorge, die Verlassenheit und die Demütigungen, die Trostlosigkeit und Verzweiflung, die hinter den trocken gegebenen Fakten sich verbergen, auch nicht das Leid infolge der nach und nach durchsickernden Nachrichten über den grauenvollen Tod all ihrer nächsten Angehörigen und Verwandten bis auf einen Neffen. Der Tod ihres Verlobten in den Wirren des Kriegsendes nimmt ihr den letzten persönlichen Halt. Sie hat nie darüber gesprochen, nie darüber geklagt, wir können das Ausmaß ihrer inneren Not nur ahnen. Wird solch ein Mensch je in seinem Leben noch einmal lachen können? Werden psychische Blockierungen und Verformungen auch sein weiteres Leben stören und vergällen? Was bedeutet materielle Wiedergutmachung angesichts solcher inneren Schädigung?

Nach allem, was ihr angetan worden war, wird Frau Strauß nach Kriegsende überlegt haben, ob sie, wie die meisten ihrer Leidgenossen, dem "schrecklichen Vaterland" den Rücken kehren und für immer in England bleiben sollte. Sie scheint zunächst die Entwicklung im Nachkriegsdeutschland noch einige Zeit beobachtet zu haben, bis sie sich dann doch zur Rückkehr entschloss. Im Frühjahr 1947 geht ihr Antrag auf Wiedereinstellung und Zuzugsgenehmigung an der Elisabethschule ein. 3.5.1947: Schreiben von Oberstudiendirektor Bunnemann an Oberbürgermeister Bleek um Zuzugsgenehmigung für Frau Strauß, da sonst keine Ausreise aus England möglich.

23.5.47: Zur Beschleunigung des Verfahrens ein handgeschriebener Brief von Bunnemann an OB Bleek persönlich mit der näheren Begründung: "Frl. Strauß wurde als nichtarisch entlassen und musste, um weiterer Verfolgung zu entgehen, nach England emigrieren. Eine Schwester von ihr ist, wie ich höre, vergast worden. Mit herzlichem Dank für ihr persönliches Eingreifen und besten Grüßen  Ihr Bunnemann."

Der anschließende Papierkrieg ermöglicht einen interessanten Blick auf die Verhältnisse im Nachkriegsdeutschland vor der Währungsreform 1948. Da schaltet sich ein Reg. Kommissar für das Flüchtlingswesen in Kassel ein, ein Milit. Permit office der alliierten Besatzungsmächte hat mitzureden. Voraussetzungen für die Ausreisegenehmigung aus England waren: Zuzugsgenehmigung durch das Einwohnermeldeamt, Zuweisung einer Wohnung durch das Wohnungsamt, Zuteilung von Lebensmittelkarten durch das Ernährungsamt. Am 20.6.48 kam die Währungsreform in den drei westlichen Besatzungszonen. Für Frau Strauß verzögert sich durch all dies die Rückkehr um mehr als ein Jahr. Am 25.9.48 schreibt Direktor Bunnemann an Frau Strauß nach England, ihr sei eine Planstelle an seiner Schule zugewiesen und sie habe am 12.10.1948 ihren Dienst anzutreten. Erneute Verzögerung durch die immer noch nicht bei den englischen Behörden eingegangene Zuzugsgenehmigung.

Am 10.10.48 Direktorenwechsel Bunnemann - Hillmann. Die neue Direktorin, Frau Dr. Dorothea Hillmann, macht Dampf in der Sache Strauß. 11.2.1949 persönliches Dankschreiben von Frau Strauß aus England an Frau Hillmann. 5.5.1949 Frau Strauß tritt nach 15 Jahren Exil ihren Dienst in Marburg wieder an.

17.5.49: Hessisches Kultusministerium: Erste Gehaltsanweisung an Frau Strauß: 671,16 DM

Weitere Daten in Kürze:

  • 1956 Beförderung zur Oberstudienrätin

  • 1960 Pensionierung mit 68 Jahren

  • 1962 Umzug nach Frankfurt, ihrer Heimatstadt

  • 1979 8. Oktober, verstorben im 87. Lebensjahr.

Wieder an der Elisabethschule

Als sie am 5. Mai 1949 nach 15-jähriger Abwesenheit die Elisabethschule wieder betritt, hat sich das Kollegium infolge der Kriegsereignisse sehr stark verändert. Nur wenige kennt sie noch von früher, noch weniger kennen sie. Die größere Veränderung aber stellt man bei ihr fest: Über ihre Jahre hinaus gealtert, auffallend herbe Züge im Gesicht, der Rücken ein wenig eingekrümmt und vornüber gebeugt; das lässt sie kleiner erscheinen als früher; ihre dunklen Haare sind schütter und stark ergraut. Wache, eher wachsame dunkle Augen blicken unsicher - misstrauisch. Wer so enttäuscht wurde von der Welt, hält sich vorsichtig zurück, geht auf Distanz, tut sich schwer mit neuen Kontakten. Keine Klage, keine Anklage, kein Wort über die Zeit der Abwesenheit, auch später nicht. Vorsichtigen, gutgemeinten Versuchen zu einem persönlicheren Gespräch weicht sie aus oder blockt sie ab. Schon in ihrer ersten Marburger Zeit wurde ihre rationale Kühle und Distanz empfunden, aber überdeckt von jugendlichem Charme, von menschlicher Zuwendung und Offenheit für Probleme anderer, ob Lehrer oder Schüler. Mit einer positiven Erinnerung ging man in die neue Begegnung mit ihr. Es wurde jedoch beiden Seiten allmählich klar, dass dies der schwierigere Teil ihrer Rückkehr sein würde. Ein Glück, dass an einer Stelle die Aufnahme einer tiefen menschlichen Beziehung gelang, die Freundschaft mit Frau Euler, der langjährigen Direktor-Stellvertreterin der Elisabethschule, von der noch heute Kollegen wie Schüler mit höchster Achtung und Verehrung sprechen. Auf dem Foto zu Anfang unseres Berichtes sitzt sie in der Mitte. Es war vielen Kollegen und Kolleginnen recht, dass gerade sie eine schützende Hand über die Heimkehrerin hielt, da vielen von ihnen eigene Versuche zu näherer Kontaktaufnahme missglückten. Brüske und zuweilen gallige Abweisungen machten Frau Strauß auf diesem Gebiete zu einer "schwierigen Kollegin". Man nahm es ihr nicht übel, da man um ihr Schicksal wusste; man bedauerte, dass eine innere Blockierung ihr die persönlichere Zuwendung zu anderen erschwerte. Das war verständnisvoll und zum Teil richtig gesehen, aber Verbitterung, wie viele meinten, trifft nicht ganz. Mir schien, als habe sie aus dem Unmaß von Leid, das ihr von Menschen angetan wurde, eine solche innere Verletzung, einen Bruch der Fähigkeit zum Vertrauen erfahren, dass sie nur schwer sich in neue Beziehungen von persönlicher Prägung und Wärme einzulassen vermochte. Letztlich war es wohl diese seelische Schädigung, die ein Gefühl des vollen Aufgenommensein in ihrer neuen Umgebung nicht zuließ.

Umso erfreulicher war es, dass auf dem Gebiet sachlicher und fachlicher Diskussion und Zusammenarbeit ein tragfähiges Miteinander zustande kam. Hier konnte das Gespräch auf der Ebene rationaler Distanz und Klarheit erfolgen, was ihrer Veranlagung besonders entsprach. Den Respekt vor ihrer fachlichen Kompetenz und ihrem pädagogischen Bemühen hatte sie sich schon vor ihrer Vertreibung erworben. Diese Achtung vermochte sie sich auch nach der Rückkehr zu erhalten. Auch wenn sie die Übernahme neuerer Methoden und didaktischer Ansätze für ihre eigene Arbeit ablehnte, war sie den Referendaren eine aufgeschlossene und hilfsbereite Beraterin. Sie gab einen anspruchsvollen Unterricht, der, ihrer Ausbildung um 1920 entsprechend und wohl auch von ihrer pädagogischen Tätigkeit mit englischen Schülerinnen beeinflusst, stärker stoff- und leistungsbezogen als schülerorientiert verlief. Sie verlangte intensive Mit- und Nacharbeit und erreichte ein anerkannt hohes Leistungsniveau in ihren Klassen, ohne von solcher Strenge zu sein, dass sie nicht auch einmal in schwierigen Fällen hätte ein Auge zudrücken können (Schülerinnenaussage). Auch fehlt es nicht an Schülerinnen, die von persönlicher Zuwendung und Hilfestellung über ihre Pensionierung hinaus berichten. Die Resonanz bei ihren Schülerinnen war im allgemeinen zurückhaltend und zwiespältig: Respekt vor ihrem fachlichen Wissen, aber Scheu vor ihrem Leistung fordernden und damit fördern wollenden Unterricht. Man freute sich nicht, die in ihrem Anspruch Unbequeme als Lehrerin zu bekommen, aber man war hinterher befriedigt und stolz auf den erreichten Leistungsstand. Eine ganze Reihe ihrer Schülerinnen hat später Latein studiert. So wurde sie 1956 zur Oberstudienrätin ernannt, ein Titel, der damals nur dem Stellvertreter des Direktors zukam oder in seltenen Fällen in Anerkennung besonderer Leistungen verliehen wurde und noch keine Routinebeförderung war.

So lebte und arbeitete sie nach ihrer Rückkehr noch zwölf Jahre unter uns, still und gern im Hintergrund bleibend, nur hie und da schroff und aggressiv sich einmischend, wenn sie irgendwo keimendes Unrecht oder drohende Gefährdung auch von anderen abwenden zu können glaubte. Der passionierten Lehrerin wurde aus verständlichen Gründen auch die Ausnahmegenehmigung erteilt, drei Jahre über das 65. Lebensjahr hinaus zu unterrichten. Im Jahre 1960 wurde sie gleichzeitig mit ihrer Direktorin, Frau Dr. Hillmann, mit 68 Jahren in den Ruhestand versetzt.

Auch im Ruhestand war die Freundschaft mit Frau Euler ein sie tragendes Element. Als diese aber 1962 verstarb, hielt es Frau Strauß nicht mehr länger in Marburg. Sie zog noch 1962 nach Frankfurt, ihrer Heimatstadt, wo sie ein eigenes Wohngrundstück besaß und wo sie bei ihrem einzig verbliebenen Neffen für das Alter ein wenig menschliche Nähe und Wärme zu finden hoffte. Die Schule ließ bis zum Tode den Kontakt mit der leidgeprüften Lehrkraft nicht abreißen: Einladungen zu Schulveranstaltungen, jährliche Geburtstagsgratulationen, Glückwünsche zu bestimmten Jubiläen. Einige Kolleginnen und auch Schülerinnen unterhielten noch weiter telefonische oder briefliche Verbindung aufrecht. Allmählich versickerten auch diese letzten Kontakte; sie selbst ist in Marburg nie mehr gesehen worden. Nachdem auch die Beziehung zur Familie ihres Neffen zerbrochen war, verbrachte sie ihre letzten Lebensjahre in großer Einsamkeit. Sie verstarb im September 1979 im 87.  Lebensjahr.

Umfrage im Kollegenkreis:

Was wussten Sie über Frau Straußens Schicksalsweg bisher?

Alle 35 Befragten: Außer der Tatsache ihrer Entlassung und Emigration - gar nichts.

Haben Sie einmal versucht, in ein Gespräch mit ihr und zu persönlichen Fragen nach ihrem Schicksal zu kommen?

Alle fünfunddreißig: Nein.

Warum nicht?

  • Ich fürchtete ihre harte Abwehr.

  • Ich wollte keine alten Wunden aufreißen.

  • Wir hatten so viele eigene Existenzsorgen.

  • Das Thema Judenverfolgung war ziemlich tabu.

  • Ich hatte nicht den Mut dazu vor ihr.

Man sprach über Fachprobleme, man machte in alltäglicher Konversation, aber ein tiefergehendes persönliches Gespräch kam kaum zustande. Ich schließe mich selbst dabei nicht aus.

So liegt ein Schatten über der Erinnerung an Frau Strauß. Warum ist ihre Rückkehr nicht ganz zu einer Heimkehr geglückt? Hätte der Mut zu anteilnehmender persönlicher Frage bei ihr doch etwas lockern und lösen können?

Parzivals Unterlassung der Mitleidsfrage ließ Amfortas unerlöst in seinen Leiden zurück.

 

 

 

Impressum

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Biographische Notizen:
Reinhard Ernst, Jahrg. 1947; Lehrer für Mathematik und Physik, an der Elisabethschule seit 1985 · Peter Hatscher, Jahrg. 1949; Fachlehrer für Kunst und Deutsch an der Elisabethschule · Dr. Benno Keßler, Studiendirektor i. R.; 30 Jahre Lehrer an der Elisabethschule für Deutsch und Latein, 15 Jahre Fachleiter für Deutsch am Studienseminar Marburg · Roswitha Kraatz, Jahrg. 1950; Fachlehrerin für Geschichte, Sozialkunde und Erdkunde an der Elisabethschule · Sebastian Kraatz, geb. 1971; 1990 Abitur an der Elisabethschule, anschließend Lehre als Baufacharbeiter, nach Gesellenprüfung 1992 Architekturstudium · Horst Ludolph; Fachleiter für Geschichte am Studienseminar Marburg, Lehrer für Latein und Geschichte an der Elisabethschule · Sonja Lührmann; Schülerin an der Elisabethschule, Jgst. 12 · Regina Neumann, Jahrg. 1945; nach dem Abitur am Humanistischen Gymnasium in Bremen 1964 Studium der Ev. Theologie und Germanistik in Tübingen und Marburg. 1970 Staatsexamen. Seit 1975 an der Elisabethschule · Reinhart Pohl; Ausbildung als Schriftsetzer; danach Kapellmeister-Studium an der Musikhochschule Berlin; Studienleiter, Opern- und Konzertkapellmeister an mehreren Theatern; pers. Assistent des Gewandhauskapellmeisters Prof. Kurt Masur in Leipzig. 1979 Übersiedelung in die Bundesrepublik, seit 1980 Lehrer für Musik an der Elisabethschule, Aufbau des Kammerchores Marburg, Konzerttätigkeit · Dr. Renate Scharffenberg, Jahrg. 1924; von 1959 bis 1985 Lehrerin an der Elisabethschule, seit 1961 Fachleiterin für politische Bildung (Sozial- und Gemeinschaftskunde) am Studienseminar Marburg · Jürgen Schreyer, Jahrg. 1971; Schüler der Elisabethschule von 1981 bis 1990, gehörte zum Team der Elisabethschule, das 1989 den 3. Preis im Bundeswettbewerb "Deutsche Geschichte" bekam. Studiert jetzt Medizin · Gerhard Tittel, Jahrg. 1950; Fachlehrer für Mathematik, Informatik und Erdkunde an der Elisabethschule · Dr. Gudrun Westphal, Jahrg. 1944; seit 1978 an der Elisabethschule, Lehrerin für Deutsch und Geschichte · Georg Wieder, seit 1975 an der Elisabethschule, Fachlehrer für Kunst und Deutschunterricht.

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