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Marburger Künstlerinnen: Lehrerinnen und Schülerinnen der Elisabethschule

Von Regina Neumann, OStR i. R.

Das andere Leben: Rückblick auf Marburger Künstlerinnen

In dieser neuen „Stadtschrift“ wird den Leserinnen und Lesern ein umfassendes Bild über Malerinnen in Marburg von Anfang des 20. Jahrhunderts bis heute vermittelt – ihre Schwierigkeiten, überhaupt eine Ausbildung zu erhalten, mit ihrer Kunst den Lebensunterhalt zu bestreiten oder Familie und künstlerische Tätigkeit zu vereinbaren. Die allgemeinen Artikel („Künstlerinnen in Marburg 1860 – 1945“ sowie „Künstlerinnen in Marburg ab 1945“) werden durch 35 Einzelbiographien ergänzt, die von 14 Autorinnen und Autoren verfasst wurden.

Was hat das nun mit der Elisabethschule zu tun?

Die Aufsätze zeigen zum einen, wie schwierig es bis vor einigen Jahrzehnten Frauen gemacht wurde, nach Abschluss eines Lyzeums (wie der Elisabethschule) eine qualifizierte künstlerische Ausbildung auf akademischem Niveau zu erhalten. Marburgerinnen mussten nach außerhalb gehen, um in „Damenklassen“ aufgenommen zu werden. Daneben unterrichteten etablierte Künstler „Malweiber“, um sich ein Zusatzeinkommen zu verschaffen, so z. B. Carl Bantzer in Willingshausen.

Erst nach 1900 öffneten allmählich die Universitäten ihre Türen für Frauen. Das bedeutete allerdings nicht, dass Frauen mit ihrer Kunst Geld verdienen konnten. Sie mussten „Brotberufe“ ergreifen wie Steindrucke herstellen, töpfern oder sich mit Kopieren berühmter Gemälde eine Einnahmequelle erschließen. Daneben blieb als Beruf die Zeichenlehrerin. (Als Lehrerin mussten Frauen allerdings unverheiratet bleiben.)

Und hier sind wir wieder bei der Elisabethschule: Von den ersten 17 Abiturientinnen der Elisabethschule 1928 gaben drei „akademische  Zeichenlehrerin“ als Berufswunsch an (S. 44). – Erst nach dem Ersten Weltkrieg öffnete sich allmählich der Kunstmarkt auch Frauen, doch in den Wirtschaftskrisen fanden sie kaum Verdienstmöglichkeiten.

Der Zweite Weltkrieg brachte dann neue Probleme: Kunstwerke wurden durch die Bombadierungen der Städte zerstört; eigene Werke konnten auf der Flucht nicht mitgenommen werden. Alte Kontakte waren verloren; die internationale Entwicklung der Malerei hin zur Abstraktion konnten oder wollten nicht alle nachvollziehen.

Elisabeth Mann: Die „alte“ Elisabethschule (Das Bild hängt inzwischen in der Aula der „neuen“ Elisabethschule) | Foto: Luca Scheuvens

Erst mit der Zeit eröffneten sich neue Ausstellungsmöglichkeiten, z. B. früher in den Stadtsälen oder alle zwei Jahre bei „Kunst in Marburg“ (heute im Haus des Marburger Kunstvereins am Gerhard-Jahn-Platz), in denen nach und nach auch mehr Frauen ihren Platz fanden. Verdienst boten außerdem Portraits, in der Nachkriegszeit vor allem von amerikanischen Soldaten. Hinzu kam die „Kunst am Bau“.

Heute ist im öffentlichen Raum besonders Hanna Korflür präsent, die z. B. den Hoffmanns-Lieschen-Brunnen (vor der Sparkasse am Beginn der Weidenhäuser Straße) oder die Großplastik „Große verschobene Röhren“ (ehemaliger Standort: links neben der Stadthalle) geschaffen hat.

Die Malerinnen, die vorgestellt werden, haben über kürzere oder längere Zeit in Marburg gelebt. Einige von ihnen waren Schülerinnen der Elisabethschule – wie Rosa Friess, Louisa Biland oder Hanna Korflür – oder wirkten hier als Lehrerinnen, wie Elisabeth Mann oder Gertrud Weber. Ihre Biografien (meist mit Bild) werden kurz skizziert, einen breiteren Raum nimmt die Beschreibung der künstlerischen Entwicklung ein. Erfreulicherweise ist der Band reich bebildert und sehr sorgfältig gedruckt, so dass die Eigenart der Malerinnen jeweils gut nachvollzogen werden kann. Dazu kommen jeweils Hinweise, wo heute noch Werke betrachtet werden können. – Deutlich wird die Breite des künstlerischen Schaffens – es gibt eben keinen „weiblichen“ Malstil. Sorgfältig wird dokumentiert, wie sich in den Werken der Malerinnen die unterschiedlichsten künstlerischen Strömungen spiegeln; sie sind ebenso wie ihre männlichen Kollegen Teil der Entwicklung. In diesen Beiträgen werden aber auch jeweils die Schwierigkeiten für die künstlerische Verwirklichung verdeutlicht, wie oben allgemein beschrieben.

Exemplarisch soll dazu auf Hanna Korflür hingewiesen werden: 1925 in Marburg geboren, besucht sie im Anschluss an den Besuch der Elisabethschule die Kunstschule Burg Giebichenstein und die Werkkunstschule Offenbach mit den Schwerpunkten „Grafik, Illustration, Bildhauerei und freies Gestalten“ (S. 305). Mit ihrer Heirat und der Geburt ihrer vier Kinder unterbricht sie ihre künstlerische Tätigkeit für zwanzig Jahre, bis sie diese umso intensiver und vielfältiger fortsetzt.

Neben den oben genannten Großplastiken „beinhaltet ihr Werk figürlich abbildende Werke sowie puristisch-minimalistische Arbeiten, dem Konstruktivismus (der 60-er und 70-er Jahre) verwandt“ (S. 307f.). Diese Vielfalt wird in den Abbildungen verdeutlicht. Hanna Korflür starb 1993. – Die Künstlerin und ihre Familie blieben der Elisabethschule verbunden: Eine Ausstellung in der Elisabethschule im Jahr 2000 gab den Schülerinnen und Schülern anschaulich Einblick in ihr Werk.

Ein umfangreiches Literaturverzeichnis und ein Abbildungsnachweis runden den Band ab.

So bietet diese preiswerte Stadtschrift allen, die sich sozialgeschichtlich für den Weg der Frauen aus der Einbindung in enge bürgerliche Verhältnisse hin zu freier künstlerischer Betätigung in Marburg, also in einer kleinen Universitätsstadt, interessieren sowie für die, die gern etwas zu einzelnen Malerinnen erfahren möchten, reichlich Material – nicht nur zum Lesen, sondern auch zum Anschauen.


Das andere Leben. Rückblick auf Marburger Künstlerinnen. Herausgegeben von Irene Ewinkel. Marburger Stadtschriften zur Geschichte und Kultur 105. 365 S. Rathaus-Verlag Marburg 2015. ISBN 9783942487061. 16,80 Euro