01.12.2019
Einstellung einer Lehrerin für weibliche Handarbeiten
Als eines der ältesten erhaltenen Dokumente unserer Schule dürfte ein Schreiben vom 15. März 1878 gelten – also gut 140 Jahre alt. Die Schule hieß noch lange nicht Elisabethschule (das erfolgte erst ein knappes halbes Jahrhundert später in 1912), sondern war noch die „Höhere Töchterschule Marburg“. Der Name ist auf dem vorliegenden Dokument – wie es damals vielleicht üblich war – sehr schön links oben in das Briefpapier (blind-)geprägt worden.
Der Schulleiter war 1878 noch Dr. Georg Buchenau, der dann aber im gleichen Jahr Marburg verließ, um eine Schule in Rinteln zu leiten. Er kehrte aber zurück und war von 1884 bis 1900 Direktor am Gymnasium Philippinum.
Dr. Buchenau fügte mit seiner Handschrift (man erkennt es an der dunkleren Tinte und der etwas dickeren Linienführung) die Personaldaten einer anzustellenden Lehrerin in ein von Hand geschriebenes Formular ein, das offenbar häufiger Verwendung fand. Der Wortlaut des Vertrages, der unten zu lesen ist, enthält Details, die interessante Rückschlüsse auf die Zeit zulassen.
Zum einen erfahren wir, dass das jährliche Einkommen am Ende des 19. Jahrhunderts für eine „Lehrerin der weiblichen Handarbeiten“ 700 Mark beträgt, die vierteljährlich im Voraus bezahlt werden. Zum Vergleich: Um 1900 kostet
- 1 Kilo Schweinefleisch: 1 Mark, 50 Pfennig (heute etwa 9 EUR),
- 1 Kilo Butter: 1 Mark, 86 Pfennig (heute etwa 5 EUR),
- 1 Liter Milch: 20 Pfennig (heute etwa 1,10 EUR),
- 1 Kilo Zucker: 65 Pfennig (heute etwa 0,65 EUR),
- 1 Kilo Kaffee: 4 Mark, 15 Pfennig (heute etwa 10 EUR).
Von 700 Mark Jahresgehalt konnte man sich etwa 3500 Liter Milch kaufen, also aufs Jahr verteilt zehn Liter pro Tag. Das entspricht heute einer Tageskaufkraft von etwa 11 EUR bzw. einem Monatslohn von ungefähr 300 EUR. Uns liegen zum Vergleich Zahlen von 1907 vor, als Hedwig Jahnow die Stelle als Oberlehrerin an der Elisabethschule antrat. Es waren 1650 Mark Jahresgehalt zuzüglich Wohngeldzahlungen und Alterszulagen. Die Versorgung der Lehrerinnen und Lehrer hatte sich durch die Verstaatlichung der Schule vergleichsweise gebessert.
Interessant ist auch die handschriftliche Notiz am Rand, die besagt „Verpflichtung, 26 St(unden) per Woche“. Wenn wir von etwas geringeren Ferienzeiten ausgehen und z.B. 42 Unterrichtswochen ausgehen, wäre es ein Lohn pro Unterrichtsstunde von deutlich unter einer Mark.
Des weiteren sind die Kündigungsbedingungen interessant. Beide Parteien können den Vertrag aufheben, die Bedingungen müssen allerdings „schulfreundlich“ sein, der Vertrag muss zu den üblichen markanten Punkten des Schuljahres beendet werden, zu Ostern oder zu Michaelis; dort gibt es je Ferien und der Schulleiter konnte sich ggf. um Ersatz kümmern.
Über die Wirkungszeit von Minna Gröll an der privaten „Höheren Töchterschule Marburg“ ist uns leider ebenso wie über ihr weiteres Schicksal nichts bekannt.
15. Mai
Marburg, 31. März 1878.
III.
Der unterzeichnete Vorstand der Höheren
Töchterschule zu Marburg bestellt
Fräulein Minna Gröll
aus …
vom 1. April 1878 als Lehrerin der weibl. Handarbeiten
an der von ihm geleiteten Höheren Töchter-
schule mit einem, in vierteljährlichen Raten
vorauszahlbaren jährlichen Gehalte von
siebenhundert Mark,
unter Vorbehalt gegenseitiger vierteljähriger
Kündigung, für den Fall, daß die Lösung
dieses Verhältnisses von einer der beiden
Seiten gewünscht würde.
Doch darf der Abgang der Lehrerin von der
Schule nur zu Michaelis oder Ostern erfolgen.
Verpflichtung, 26 St(unden) per Woche
Der Vorstand der Höheren Töchterschule
Dr. Buchenau