Zeitzeugengespräch mit Dr. Michaela Vidláková
Überlebende des Ghettos Theresienstadt berichtet
"Da wir überlebt haben, sind wir es den Toten schuldig, über die NS-Verbrechen zu erzählen."
Es sind nicht mehr viele, und es werden immer weniger. Heute gibt es nur noch wenige Überlebende der Shoa und diese sind inzwischen alle hochbetagt. Können junge Menschen und Schüler*innen das Unfassbare der schrecklichen Verbrechen der Nationalsozialisten allein aus dem Studieren von Büchern und anderweitig verfügbaren Informationen in seiner Tragweite überhaupt erfassen? Bedarf es nicht viel mehr auch den Schilderungen von Menschen, die diese Schrecken erlebt und überlebt haben, Ihrer Eindrücke, Schmerzen und Emotionen?
Die Klassen 10b und 11f sowie die beiden Geschichtskurse von Herrn Diedrich und Frau Rupp des diesjährigen Abiturjahrgangs hatten die Gelegenheit, direkt von einer der letzten Überlebenden des Ghettos Theresienstadt, Frau Michaela Vidláková, die Ereignisse der damaligen Zeit zu erfahren. In zwei Online-Veranstaltungen, in denen Frau Vidláková direkt aus Prag zugeschaltet war, erzählte sie von dem eigenen Schicksal sowie dem ihrer Familie. Als eine der wenigen hat Frau Vidláková mit ihren Eltern die Shoa überlebt, während andere Familienmitglieder in den Konzentrationslagern in Ausschwitz und Treblinka ermordet wurden.
Eindrücklich, mit klarer und deutlicher Stimme schilderte Frau Vidláková (auf Deutsch!!), wie sie als kleines Kind die Besetzung Prags durch die Deutschen, die zunehmende Ausgrenzung aus der tschechischen Gesellschaft, die Trennung von ihren Spielkameradinnen, die Deportation nach Theresienstadt1942 als 6-Jährige und die Zeit in dem von den Nationalsozialisten als sogenanntes ‚Vorzeige-Ghetto‘ angelegte Lager empfunden hat. Fast 2 ½ Jahre verbrachte Frau Vidláková mit ihren Eltern in Theresienstadt und entging nur durch Zufall der Deportation in eines der Vernichtungslager.
Erst nach dem Krieg konnte Michaela Vidláková erstmals zur Schule gehen, ihr Abitur mit Hindernissen ablegen, um dann später an der Karls-Universität in Prag Naturwissenschaften zu studieren.
Seit ihrer Pensionierung engagiert sich Frau Vidláková als Zeitzeugin und versucht insbesondere in Veranstaltungen an Schulen, junge Menschen für die Gefahren, die von antisemitischen Haltungen, Rassismus und Intoleranz gegenüber Menschen anderer Kulturen und Religionen ausgehen, zu sensibilisieren.
Selten haben Schüler*innen so aufmerksam und bisweilen ergriffen und berührt einem Vortrag zugehört wie bei diesen Veranstaltungen. Für viele war die Verknüpfung der im Unterricht gelernten Ereignisse mit den persönlichen Erlebnissen von Frau Vidláková sehr eindrücklich und haben einen anderen Zugang zur Geschichte vermittelt.
Wenn hinter den bloßen Zahlen und Fakten dann Bilder und Gesichter entstehen, wenn historische Ereignisse mit persönlichen Schilderungen (wieder)belebt werden - vielleicht wird dadurch Geschichte erst richtig erfahrbar. Und somit auch zu einem Kompass für die heutige Zeit.